5 Rangfolge der Schutzmaßnahmen – "STOP-Prinzip"

5.1 Allgemeines

(1) Das STOP-Prinzip beschreibt die Rangfolge von Schutzmaßnahmen. Diese Rangfolge hat der Arbeitgeber bei der Festlegung und Anwendung von Schutzmaßnahmen zu beachten. Das STOP-Prinzip wird oft auch als STOP-Hierarchie, -Reihenfolge oder -Rangfolge bezeichnet. Dabei stehen die einzelnen Buchstaben "STOP" für jeweils verschiedene Arten von Schutzmaßnahmen:

  1. S – Substitution
  2. T – Technische Schutzmaßnahmen
  3. O – Organisatorische Schutzmaßnahmen
  4. P – Persönliche Schutzmaßnahmen

Unter dem STOP-Prinzip ist zu verstehen, dass bei der Auswahl der Schutzmaßnahmen grundsätzlich eine Maßnahmenhierarchie zu beachten ist. Dies gilt sowohl für Gesundheitsgefährdungen als auch für Brand- und Explosionsgefährdungen.

(2) Der Arbeitgeber hat bei zusätzlichen Schutzmaßnahmen die Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip festzulegen, sodass die durch einen Gefahrstoff bedingte Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten beseitigt oder auf ein Minimum reduziert wird. Dazu ist bevorzugt eine Substitution durchzuführen. Insbesondere sind Tätigkeiten mit Gefahrstoffen zu vermeiden oder Gefahrstoffe durch Stoffe oder Gemische oder auch Verfahren zu ersetzen, die unter den jeweiligen Verwendungsbedingungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten nicht oder weniger gefährlich sind. Die Prüfung der Substitutionsmöglichkeiten ist in der TRGS 600 beschrieben.

(3) Ist eine Substitution bzw. Verfahrensänderung nicht möglich, sind als nächstes technische und organisatorische Maßnahmen zu prüfen und umzusetzen. Wenn technische und organisatorische Maßnahmen nicht ausreichen, die Gefährdung auf ein sicheres Maß zu reduzieren, sind persönliche Schutzmaßnahmen anzuwenden.

(4) Es gibt aber auch Tätigkeiten mit Gefahrstoffen wie z. B. Einsätze der Feuerwehr bei Betriebsstörungen, Unfällen und Notfällen, bei denen diese Rangfolge nicht immer eingehalten werden kann. Organisatorische Maßnahmen und persönliche Schutzmaßnahmen (insbesondere Atemschutz) erlangen dann im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eine besondere Bedeutung.

(5) Wenn die Umsetzung einer Schutzmaßnahme die Gefährdungen nicht ausschließt bzw. nicht ausreichend verringert, sind mehrere Schutzmaßnahmen zu kombinieren. Auch bei der Kombination mehrerer Schutzmaßnahmen ist das STOP-Prinzip zu beachten. Dies kann bedeuten, dass z. B. erst nach Umsetzung mehrerer technischer und organisatorischer Schutzmaßnahmen persönliche Schutzausrüstung ausgewählt werden darf.

(6) Bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen ist der Stand der Technik zu beachten und umzusetzen. Dies gilt insbesondere für die Beschaffung von Arbeitsmitteln und die Einrichtung von neuen Arbeitsplätzen. Die Vorgehensweise zur Ermittlung des Standes der Technik ist in der TRGS 460 "Handlungsempfehlung zur Ermittlung des Standes der Technik" beschrieben.

(7) Kann der Stand der Technik nicht umgesetzt werden, sind bevorzugt branchen- oder tätigkeitsspezifische Handlungsempfehlungen heranzuziehen, die eine "gute Arbeitspraxis" beschreiben und dem Anhang 2 der TRGS 400 genügen.

(8) Bei der Ermittlung und Auswahl von Schutzmaßnahmen ist der Betriebsrat oder die Personalvertretung zu beteiligen. Die Beschäftigten sollen die Möglichkeit zur Mitwirkung erhalten.

(9) Die Gefährdung ist auf ein Minimum reduziert, wenn z. B.

  1. bei Stoffen mit AGW der Befund bei der Ermittlung der Exposition lautet, dass die Schutzmaßnahmen ausreichend sind, sowie bei krebserzeugenden Stoffen mit einer Exposition-Risiko-Beziehung die Akzeptanzkonzentration unterschritten ist,
  2. eine stoff- oder tätigkeitsspezifische TRGS oder ein VSK angewendet wird,
  3. bei Stoffen ohne AGW oder gesundheitsbasierte Beurteilungsmaßstäbe der Stand der Technik eingehalten ist (siehe TRGS 460),
  4. bei hautgefährdenden Gefahrstoffen Hautkontakt ausgeschlossen ist,
  5. bei physikalisch-chemischen Gefährdungen, für die eine spezifische TRGS existiert und diese angewendet wird; dabei handelt es sich insbesondere um die TRGS 720 sowie die weiteren Technischen Regeln für Gefahrstoffe der 700er-Reihe,
  6. bei Stoffen ohne AGW, aber mit anderen gesundheitsbasierten Beurteilungsmaßstäben, z. B. MAK-Werten, der Befund nach der Ermittlung der Exposition darauf schließen lässt, dass die Maßnahmen ausreichend sind.

5.2 Substitutionsprüfung und Substitution

(1) Die Substitution ("S") ist die wirksamste Schutzmaßnahme. Sie bezeichnet den Ersatz eines Gefahrstoffes oder eines Verfahrens durch einen Gefahrstoff oder Verfahren mit einer insgesamt geringeren Gefährdung. Sie steht deshalb an erster Stelle des STOP-Prinzips. Näheres regeln die TRGS 600 und stoffspezifische TRGS zu Ersatzlösungen.

(2) Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber gemäß GefStoffV die Möglichkeiten einer Substitution zu beurteilen, indem er eine sog. Substitutionsprüfung durchführt.

(3) Das Ergebnis der Prüfung auf Möglichkeiten einer Substitution ist gem. GefStoffV und TRGS 600 zu dokumentieren.

5.3 Technische Schutzmaßnahmen

5.3.1 Arten von Technischen Schutzmaßnahmen

Die technischen ("T") Schutzmaßnahmen stehen an zweiter Stelle des STOP-Prinzips wenn die Gefährdung durch eine Substitution des Stoffs bzw. durch eine Verfahrensänderung nicht ausreichend minimiert werden konnte. Hierzu zählen auch bauliche Maßnahmen wie z. B. Einhausungen oder eine räumliche Trennung. Auch innerhalb der technischen Schutzmaßnahmen gibt es eine Rangfolge nach abnehmen der Wirksamkeit wie die folgende Tabelle zeigt:

abnehmende Wirksamkeit: Technische Schutzmaßnahmen Beschreibung
– Geschlossene Systeme Zur Bewertung von geschlossenen Systemen s. Anhang 1
– Absaugungen (an Entstehungs- oder Austrittsstellen) Absaugungen dienen dazu, den Austritt eines Stoffes möglichst an der Austrittsstelle abzufangen und somit eine Gefährdung von Personen oder der Umwelt zu minimieren
– Raumbe- und -entlüftungen Lüftungstechnische Anlagen führen zu einem allgemeinen Austausch der Luft am Arbeitsplatz. Somit können Expositionen zwar verringert, aber nicht vermieden werden

Zur Wirksamkeitsüberprüfung siehe Abschnitt 11 dieser TRGS.

5.3.2 Geschlossene Systeme

(1) Geschlossene Systeme sind die wirksamsten aller technischen Schutzmaßnahmen. Ein geschlossenes System im Sinne dieser TRGS ist so beschaffen, dass während des Betriebs der Anlage zwischen dem Gefahrstoffe enthaltenden Innenraum und der Umgebung keine betriebsmäßig offene Verbindung besteht oder strömungsbedingt ein Stoffaustritt sicher verhindert wird. Es ist zudem so gestaltet, dass sichergestellt ist, dass beim betriebsmäßigen Öffnen des Systems keine Gefahrstoffe austreten und zu einer Gefährdung der Beschäftigten führen können. Die Bedienungsschritte sind so gestaltet, dass diese leicht nachzuvollziehen sind und einfache Bedienungsfehler nicht zu einem Stoffaustritt führen. Zu den geschlossenen Systemen können einerseits integrierte Absaugungen als fester technischer Bestandteil des Arbeitsmittels sowie hochwirksame Absaugungen nach Anhang 1 gehören.

(2) Anlagen können im Sinne dieser TRGS als geschlossen angesehen werden, wenn nur Funktionselemente geschlossener Bauart mit gewährleisteter Dichtigkeit oder mit integrierter Absaugung vorhanden sind. Siehe hierzu Anhang 1 dieser TRGS.

(3) Beispiele für geschlossene Systeme in Laboratorien sind u. a. Vakuumapparaturen oder Gloveboxen (siehe TRGS 526 "Laboratorien").

(4) Ist ein geschlossenes System technisch nicht möglich und besteht eine erhöhte Gefährdung der Beschäftigten, müssen für diese Tätigkeiten weitere Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik und entsprechend des STOP-Prinzips getroffen werden, welche die Gefährdung ausschließen bzw. falls dies nicht möglich ist, so weit wie möglich verringern.

5.3.3 Absaugungen

(1) In der Rangfolge der technischen Schutzmaßnahmen stehen nach den geschlossenen Systemen die lüftungstechnischen Maßnahmen und Absaugungen an zweiter Stelle.

(2) Da Absaugungen an der Entstehungs- oder Austrittsstelle von Gefahrstoffen meist nur in unmittelbarer Nähe der Emissionsquelle effektiv sind, sind Absaugungen weniger wirksam als geschlossene Systeme. Dabei ist der bestimmungsgemäße Gebrauch sicherzustellen. Beispiele für Absaugungen enthält der Anhang 2.

5.3.4 Absaugungen – Bauarten "geschlossen, halboffen oder offen"

Absaugungen können über ihre Bauart unterschieden werden, die den unterschiedlichen Grad der Quellenumschließung beschreibt. Die Reihenfolge "geschlossene, halboffene und offene Bauart" entspricht der abnehmenden Wirksamkeit dieser drei Bauarten:

  1. Bei geschlossenen Bauarten – wie z. B. Kapselungen oder andere Arten von Einhausungen – befindet sich die Emissionsquelle innerhalb der Absaugung, die an keiner Seite offen ist,
  2. Bei halboffenen Bauarten – wie z. B. Absaugständen oder Abzugsschränken – befindet sich die Emissionsquelle innerhalb der Absaugung, die an mindestens einer Seite offen ist,
  3. Bei offenen Bauarten – wie z. B. Düsenplatten, Saugrohre, Hauben oder Randabsaugungen – besteht zwischen Emissionsquelle und Absaugung ein räumlicher Abstand.

5.3.5 Absaugungen – integrierte, (hoch-)wirksame oder sonstige

(1) Eine integrierte Absaugung im Sinne dieser TRGS ist eine Absaugung geschlossener Bauart, die beispielsweise in Verbindung mit Schleusen, Kapselungen, Einhausungen oder Behältern eingesetzt wird, um so die Gefahrstoffe auf das Innere der geschlossenen Funktionseinheit zu begrenzen. Das heißt, dass das Auftreten von Gefahrstoffen in der Luft des Arbeitsbereichs außerhalb der geschlossenen Funktionseinheit ausgeschlossen werden kann. Als geschlossene Bauart kann die Absaugung auch angesehen werden, wenn zwar geringflächige Öffnungen betriebsmäßig bestehen, ein luftgetragener Stoffaustritt durch Konvektion und Diffusion durch die Strömungsgeschwindigkeit der einströmenden Luft und der Gestaltung der Öffnung praktisch ausgeschlossen wird.

(2) Bei einem integrierten Absaugsystem muss der austretende Gefahrstoff an der Austrittsstelle wirksam mit einem dicht angeschlossenen Schlauch oder Rohr gefahrlos abgeführt und ggf. entsorgt bzw. unschädlich gemacht werden. Bei der Auslegung des Absaugsystems muss der Hersteller dieses geschlossenen Systems das physikalische Verhalten des Gefahrstoffes, insbesondere die Thermik und die Dichte, beachten.

(3) Hochwirksame Absaugung im Sinne dieser TRGS ist eine Absaugung offener oder halboffener Bauart, die so bemessen ist, dass Gefahrstoffe innerhalb des Erfassungsbereichs verbleiben. Das heißt, dass das Auftreten von Gefahrstoffen in der Luft des Arbeitsbereichs praktisch ausgeschlossen werden kann.

(4) Bei hochwirksamen Absaugungen werden austretende Gefahrstoffe mit einer gerichteten, möglichst laminaren Zuluftströmung vollständig erfasst und in die Absaugung transportiert.

(5) Eine wirksame Absaugung im Sinne dieser TRGS ist eine Absaugung offener und halboffener Bauart, die so bemessen ist, dass Gefahrstoffe innerhalb des Erfassungsbereichs verbleiben. Dies bedeutet, dass das Auftreten von Gefahrstoffen in der Luft des Arbeitsbereichs weitgehend ausgeschlossen werden kann, zumindest aber von einer Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte auszugehen ist. Die Wirksamkeit ist zu überprüfen, z. B. durch Messungen.

(6) Eine Quellenabsaugung im Sinne dieser TRGS ist eine örtliche Absaugung, z. B. Punktabsaugung, die so platziert ist, dass Gefahrstoffe direkt an der Entstehungsstelle erfasst werden.

(7) Als sonstige Absaugung im Sinne dieser TRGS ist eine Absaugung offener und halboffener Bauart zu verstehen, die so bemessen ist, dass das Auftreten von Gefahrstoffen in der Luft des Arbeitsbereichs zwar reduziert, jedoch nicht ausgeschlossen werden kann. In der Regel sind zur Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten weitere Maßnahmen erforderlich.

5.4 Organisatorische Schutzmaßnahmen

(1) Organisatorische ("O") Schutzmaßnahmen sind zu veranlassen, wenn durch Substitution oder technische Maßnahmen das Schutzziel nicht erreicht werden kann.

(2) Organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass Schutzmaßnahmen nachhaltig ausreichend sind. Hierzu gehören beispielsweise Wartungspläne und Begehungen sowie Arbeitszeitregelungen zur Reduzierung der Exposition oder Minimierung wechselseitiger Belastungen.

(3) Unabhängig vom STOP-Prinzip sind organisatorische Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Gefährdung der Beschäftigten auf ein Minimum zu reduzieren, z. B. Erstellung von Betriebsanweisungen und Durchführung von Unterweisungen.

(4) Abschnitt 6.2 dieser TRGS beschreibt beispielhaft organisatorische Schutzmaßnahmen.

5.5 Persönliche Schutzmaßnahmen

(1) Persönliche ("P") Schutzmaßnahmen wie z. B. das Tragen von Atemschutz stehen an letzter Stelle des STOP-Prinzips. Sie sind einzusetzen, wenn Gefährdungen nicht durch in der Rangfolge höher stehender Schutzmaßnahmen ausreichend reduziert werden können.

(2) Persönliche Schutzmaßnahmen werden z. B. bei kurzzeitigen Tätigkeiten mit hoher Exposition eingesetzt oder auch bei unregelmäßiger oder nur gelegentlicher Exposition oder als vorübergehende Maßnahme bis technische oder organisatorische Maßnahmen umgesetzt wurden.

(3) Wenn der Arbeitsplatzgrenzwert bzw. Beurteilungsmaßstab trotz Ausschöpfung aller technischer oder organisatorischer Schutzmaßnahmen nicht eingehalten wird, ist unverzüglich persönliche Schutzausrüstung bereitzustellen und anzuwenden.

5.6 Kombination von Schutzmaßnahmen

(1) Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen keine Gefährdung für Beschäftigte und Dritte besteht, bzw. dass diese auf ein Minimum reduziert ist. Die allgemeinen Schutzmaßnahmen nach Abschnitt 6 und Abschnitt 9 dieser TRGS sind umzusetzen.

(2) Oftmals ist dazu eine einzelne Maßnahme nicht ausreichend, sondern erst durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen wird eine ausreichende Sicherheit erreicht und gewährleistet. Beispielsweise bleibt eine installierte technische Schutzmaßnahme nur dann nachhaltig wirksam, wenn sie im Rahmen eines Wartungsplans als begleitende organisatorische Schutzmaßnahme regelmäßig geprüft und gewartet wird.

(3) Eine Kombination im Sinne dieser TRGS ist die allgemeine Zusammenstellung aller technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung von Substitutionsmöglichkeiten, um ein festgelegtes Schutzziel zu erreichen.

(4) Die Zusammenstellung der Schutzmaßnahmen ist nachvollziehbar darzustellen und in der Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren.

(5) Eine Kombination von Schutzmaßnahmen kann somit auch beinhalten, dass bei nicht vorhandenen Substitutionsmöglichkeiten und nicht ausreichenden technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen der Einsatz persönlicher Schutzmaßnahmen entsprechend des STOP-Prinzips notwendig wird. Hierbei ist insbesondere die Verwendung von Atem-, Augen- und Handschutz von besonderer Bedeutung.