4 Grundsätze zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung

(1) Die Gefährdungsbeurteilung ist die systematische Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen der Beschäftigten mit dem Ziel, erforderliche Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit festzulegen. Grundlage ist eine Beurteilung der mit den Tätigkeiten verbundenen inhalativen (durch Einatmen), dermalen (durch Hautkontakt), oralen (durch Verschlucken) und physikalischchemischen Gefährdungen (z. B. Brand- und Explosionsgefährdungen) sowie der sonstigen durch Gefahrstoffe bedingten Gefährdungen.

(2) Der Arbeitgeber darf eine Tätigkeit mit Gefahrstoffen erst aufnehmen lassen, nachdem eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen wurden. Nicht immer können technische Lösungen sofort umgesetzt werden. In diesen Fällen ist entsprechend § 6 Absatz 8 Nummer 4a und b Gefahrstoffverordnung vorzugehen und vorübergehend geeignete persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen.

(3) Bereits vorhandene Informationen und Ermittlungsergebnisse (z. B. zu umgesetzten Schutzmaßnahmen, Gefahrstoffverzeichnis, Protokolle von Betriebsbegehungen, Ergebnisse von messtechnischen oder nichtmesstechnischen Ermittlungen zur inhalativen Exposition) können die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und die Dokumentation unterstützen.

(4) Die Gefährdungsbeurteilung muss in regelmäßigen Abständen und bei gegebenem Anlass überprüft und ggf. aktualisiert werden; das Überprüfungsintervall ist vom Arbeitgeber festzulegen.

4.1 Fachkunde

(1) Die Gefährdungsbeurteilung ist vom Arbeitgeber fachkundig zu erstellen. Ist der Arbeitgeber nicht selbst fachkundig, dann muss er sich fachkundig beraten lassen.

(2) Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung verlangt mindestens folgende Kenntnisse:

  1. zu den für die Beurteilung notwendigen Informationsquellen nach Nummer 5.1,
  2. zu den verwendeten und im Betrieb entstehenden Gefahrstoffen und ihren gefährlichen Eigenschaften nach Nummer 5.2,
  3. zu den mit den Gefahrstoffen im Betrieb durchgeführten Tätigkeiten,
  4. zum Vorgehen bei der Beurteilung der Gefährdungen nach Nummer 6,
  5. zur Substitution gemäß TRGS 600,
  6. zu technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen,
  7. zur Kontrolle der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen nach Nummer 7 und
  8. zur Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung nach Nummer 8.

Die Anforderungen an den Umfang und die Tiefe der notwendigen Kenntnisse können in Abhängigkeit von der Branche, dem Betrieb und den zu beurteilenden Tätigkeiten unterschiedlich sein und müssen nicht in einer Person vereinigt sein.

(3) Die Fachkunde umfasst im Wesentlichen folgende Komponenten:

  1. Eine geeignete Berufsausbildung oder eine entsprechende Berufserfahrung oder eine zeitnah ausgeübte entsprechende berufliche Tätigkeit und
  2. Kompetenz im Arbeitsschutz, die Kenntnisse und Fähigkeiten umfasst.

Diese Kenntnisse können durch Teilnahme an spezifischen Fortbildungsmaßnahmen erworben werden.

(4) Vor Beginn der Tätigkeiten müssen die Arbeitsbedingungen fachkundig beurteilt werden, um die festzulegenden Schutzmaßnahmen für die sichere Ausführung der Tätigkeiten bewerten oder überprüfen zu können.

(5) Fachkundig können insbesondere die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt sein, wenn sie die Anforderungen nach Absatz 2 und 3 erfüllen.

(6) Besondere Anforderungen an die notwendige Fachkunde können für die Anwendung bestimmter Verfahren zur Beurteilung der inhalativen Exposition, insbesondere für Arbeitsplatzmessungen, erforderlich sein. Diese Anforderungen beschreibt die TRGS 402.

4.2 Beurteilung gleichartiger Tätigkeiten

(1) Der Arbeitgeber muss alle Tätigkeiten mit Gefahrstoffen beurteilen. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen und gleichen Tätigkeiten reicht die Beurteilung eines Arbeitsplatzes für jede der zu betrachtenden Tätigkeiten aus.

(2) Die in der Gefährdungsbeurteilung gemeinsam bewerteten Tätigkeiten mit gleichartigen Arbeitsbedingungen müssen aus der Dokumentation nach Nummer 8 ersichtlich sein.

(3) Gleichartige Arbeitsbedingungen können auch bei räumlich getrennten Tätigkeiten (z. B. Probenahmen) vorliegen und mehrere Gefahrstoffe abdecken. Die Tätigkeiten müssen hierzu hinsichtlich der Gefährdungen, Expositionsbedingungen, Arbeitsabläufe, Verfahren, Umgebungsbedingungen und festzulegenden Schutzmaßnahmen vergleichbar sein.

(4) Tätigkeiten, bei denen die Gefährdung durch besonders gefährliche Eigenschaften oder eine hohe Exposition maßgeblich bestimmt wird, sollten nicht pauschal, sondern stets im Einzelfall beurteilt werden. Dies gilt auch für nicht regelmäßig durchgeführte Tätigkeiten, wie z. B. bei Wartung oder Instandhaltung.

4.3 Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Gefährdungsbeurteilung bei Änderung der Betriebs- und Verfahrensweisen sowie bei neuen Erkenntnissen zu den Stoffeigenschaften zu aktualisieren. Hierzu sind regelmäßig die Betriebsabläufe, die Umsetzung und die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen zu kontrollieren. Außerdem muss er sicherstellen, dass Änderungen im Vorschriften- und Regelwerk beachtet und sofern erforderlich berücksichtigt werden (z. B. durch TRGS-Newsletter der BAuA, Informationen der Unfallversicherungsträger, Länder, Industrieverbände, Innungen, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern oder Fachzeitschriften).

(2) Anlässe zur Überprüfung und ggf. Überarbeitung der Gefährdungsbeurteilung können sein:

  1. Einführung eines neuen Gefahrstoffs in einen Arbeitsbereich,
  2. Änderungen der Tätigkeiten oder der Arbeitsbedingungen (Mengen, Arbeitsverfahren, Schutzmaßnahmen, Lüftungsverhältnisse),
  3. Ergebnisse aus der regelmäßigen Wirksamkeitskontrolle von Schutzmaßnahmen nach Nummer 7,
  4. Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge, z. B. bei Auftreten von Hauterkrankungen oder Überschreitung eines Biologischen Grenzwertes,
  5. neue oder geänderte Arbeitsplatzgrenzwerte nach TRGS 900, Biologische Grenzwerte nach TRGS 903, Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen nach TRGS 910 oder Beurteilungsmaßstäbe in den Technischen Regeln,
  6. neue Erkenntnisse zu gefährlichen Stoffeigenschaften (z. B. aus Einstufung und Kennzeichnung, Sicherheitsdatenblatt, TRGS 905 „Verzeichnis krebserzeugender, keimzellmutagener oder reproduktionstoxischer Stoffe“, TRGS 906 „Verzeichnis krebserzeugender Tätigkeiten oder Verfahren nach § 3 Absatz 2 Nr. 3 GefStoffV“ und TRGS 907 „Verzeichnis sensibilisierender Stoffe und von Tätigkeiten mit sensibilisierenden Stoffen“),
  7. Änderungen im Regelwerk (z. B. GefStoffV, BetrSichV, ArbMedVV, TRGS-relevante TRBS oder DGUV-Vorschriften und -Regeln),
  8. Unfälle, Erkrankungen, Beinahe-Unfälle, Schadensfälle, kritische Situationen und Zustände, Ergebnisse aus Unfalluntersuchungen (z. B. nach Bränden oder Explosionen).