4 Abweichen von zulässigen Betriebsparametern

Durch Abweichungen von zulässigen Betriebsparametern können Gefährdungen für Beschäftigte und andere Personen im Gefahrenbereich infolge eines Versagens der drucktragenden Wandung entstehen. In der Regel geht den Abweichungen von zulässigen Betriebsparametern das Versagen technischer Schutzmaßnahmen, insbesondere das Versagen von Sicherheit beeinflussenden Ausrüstungsteilen, oder das Versagen organisatorischer Schutzmaßnahmen voraus.

4.1 Ermittlung von Gefährdungen

Ursachen für Abweichungen von den zulässigen Betriebsparametern können insbesondere sein:

4.1.1 Überschreitung des zulässigen Betriebsdrucks

Zum Beispiel infolge von:

  1. Druckanstieg durch höheres Druckpotenzial in angeschlossenen Anlagenteilen, z. B. aus Ringnetzen, Vorlagen und Vorratsbehältern,
  2. Ausfall von Kühlung bzw. Temperaturüberwachung,
  3. Überfüllung durch Überschreitung des zulässigen Füllgrades (z. B. mittels Pumpen),
  4. Füllvorgängen (z. B. bei Befüllen mittels Verdichter),
  5. behinderter Wärmeausdehnung von in Anlagenteilen eingeschlossenen Flüssigkeiten oder von Gasen in Flüssigphase,
  6. abgesperrten oder verstopften Entlüftungsleitungen, Gaspendelleitungen oder Flammensperren,
  7. Fördern gegen geschlossene Armaturen,
  8. Ausfall der Kondensation bei Dämpfen,
  9. Ausfall bzw. Fehlfunktion von Steuer- oder Regeleinrichtungen,
  10. externer Wärmeeinwirkung durch Brand,
  11. exothermen chemischen Reaktionen,
  12. Zerfallsreaktionen,
  13. physikalischen Explosionen, die beim Kontakt von kalten Flüssigkeiten mit heißen Schmelzen bzw. Flüssigkeiten (z. B. Metallschmelzen, organische Wärmeträgeröle), deren Temperatur über der Siedetemperatur der kalten Flüssigkeit liegt, entstehen können,
  14. Druckstößen, z. B. durch Flüssigkeitsschlag und Kavitation.

4.1.2 Unterschreitung des zulässigen Betriebsdrucks

Zum Beispiel infolge von:

  1. Abkühlung von Flüssigkeiten,
  2. Auskondensieren von Dämpfen,
  3. saugseitiger Verstopfung von Filtern,
  4. Entleerung des Druckgerätes.

4.1.3 Überschreitung der zulässigen Betriebstemperatur

Zum Beispiel infolge von:

  1. Ausfall einer Kühlung, z. B. bei Temperatur- und Mengenfehlmessungen an Einspritzungen oder Stationen,
  2. exothermen chemischen Reaktionen,
  3. Ausfall/Fehlfunktion der Brennersteuerung,
  4. Bildung von Belägen.

4.1.4 Unterschreitung der zulässigen Betriebstemperatur

Zum Beispiel infolge von:

  1. Beaufschlagung von Rohrleitungen hinter Verdampfern mit tiefkalten flüssigen Gasen bei zu großer Abnahmeleistung,
  2. adiabatischer Entspannung von Gasen (bei CO2, Flüssiggas, Ammoniak usw.).

4.1.5 Überschreitung der zulässigen mechanischen Werkstoffbeanspruchungen

Zum Beispiel infolge von:

  1. äußeren Kräften und Momenten an Tragelementen und Stutzen,
  2. unzulässigen Temperaturdifferenzen und Temperaturgradienten in der drucktragenden Wandung,
  3. unzulässigen Temperaturänderungsgeschwindigkeiten, z. B. beim An- und Abfahren,
  4. behinderter Wärmeausdehnung bei Temperaturschwankungen, z. B. beim An- und Abfahren,
  5. hohen Betätigungskräften an Armaturen,
  6. Schwingungen von Anlagenteilen,
  7. Rückstoßkräften bei Druckentlastung.

4.1.6 Versagen der sicherheitsrelevanten Ausrüstung

Zum Beispiel infolge von Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit durch das Fluid oder die Betriebsweise, bedingt durch

  1. Verkleben, Verstopfen oder Korrosion bei Sicherheitsventilen, Berstscheiben, Sensoren und Zuleitungen von Messeinrichtungen, sicherheitsrelevanten Armaturen,
  2. Kondensatansammlung an Tiefpunkten von Sicherheitsventilabblaseleitungen.

4.1.7 Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit durch äußere Einflüsse

Zum Beispiel durch:

  1. Korrosion von außen,
  2. Verschmutzung oder unsachgemäße Beschichtung,
  3. Ausfall der Energieversorgung,
  4. Beschädigung durch Gewalteinwirkung,
  5. Schwingungen, Vibrationen von Quellen in der Umgebung,
  6. Einfrieren, Vereisung.

 

4.2 Bewertung der Gefährdungen

4.2.1 Bewertung im Rahmen der Beschaffung

Zum Beispiel:

  1. Ableitung der maßgeblichen Auslegungsparameter (z. B. Druck, Temperatur, Lastwechsel) aus der Analyse der möglichen Betriebszustände,
  2. Ermittlung reaktionskinetischer Kennwerte bei verfahrenstechnischen Prozessen (z. B. Zersetzung instabiler Fluide, exotherme Reaktion),
  3. statischer Druck und Füllgewicht unter Betriebs- und Prüfbedingungen,
  4. Betrachtung der äußeren Einflüsse und der Aufstellbedingungen (z. B. Frost, Hitze, Schwingungen, Wind, Verkehr),
  5. Reaktionskräfte und -momente im Zusammenhang mit Tragelementen, Befestigungen, Rohrleitungen, Rührer usw.,
  6. Eignung der sicherheitsrelevanten Ausrüstung (z. B. Dimensionierung eines Sicherheitsventiles, Einstufung einer sicherheitsrelevanten MSR-Einrichtung).

4.2.2 Bewertung während der Verwendung

Zum Beispiel:

  1. Prüfung, ob die vom Hersteller vorgesehene Auslegung (gemäß Betriebsanleitung) mit der tatsächlichen übereinstimmt (z. B. Anzahl Lastwechsel),
  2. Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Prüfung vor Inbetriebnahme,
  3. Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Prüfung der sicherheitsrelevanten Einrichtungen (z. B. Sollwerte eingehalten, sichere Funktion, freier Durchgang).

 

4.3 Festlegung von Schutzmaßnahmen im Rahmen der Beschaffung und der Aufstellung

Folgende beispielhaft genannten Schutzmaßnahmen können sich für die der Beschaffung zugrunde zu legenden Betriebsparameter ergeben:

4.3.1 Schutzmaßnahmen gegen Überschreitungen des zulässigen Betriebsdrucks und der zulässigen Betriebstemperatur

Zum Beispiel:

  1. Bei einem leicht exothermen verfahrenstechnischen Prozess kann es bei unsachgemäßer Dosierung der Einsatzstoffe oder bei einem Ausfall der Kühlung zu einem geringfügigen Druck- und Temperaturanstieg kommen.
     
    Schutzmaßnahme:
    Die bei einem geringfügigen Druck- und Temperaturanstieg anstehenden maximalen Werte für Druck und Temperatur werden als zulässiger Betriebsdruck (PB) und zulässige Betriebstemperatur (TB) definiert, wenn damit eine technisch praktikable Auslegung der Druckanlage noch möglich ist. Der zulässige Druck (PS) und die zulässige Temperatur (TS) werden so ausgelegt, dass sie größer oder gleich den Werten für den zulässigen Betriebsdruck (PB) und die zulässige Betriebstemperatur (TB) sind. Zusätzliche Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion sind so nicht erforderlich.
  2. Bei einem stark exotherm verlaufenden verfahrenstechnischen Prozess kann es bei unsachgemäßer Dosierung der Einsatzstoffe oder bei einem Ausfall der Kühlung zu einem so großen Druck- und Temperaturanstieg kommen, dass eine technische Auslegung der Druckanlage nicht mehr praktikabel ist.
     
    Schutzmaßnahme:
    Für Druck und Temperatur werden die bei bestimmungsgemäßem Reaktionsverlauf auftretenden Maximalwerte als zulässiger Betriebsdruck (PB) und zulässige Betriebstemperatur (TB) festgelegt und bei der technischen Auslegung berücksichtigt. Durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen, wie z. B. Einsatz einer sicherheitsrelevanten MSR-Einrichtung zur Vermeidung von Dosierfehlern und redundantem Kühlsystem, wird sichergestellt, dass diese Betriebsparameter nicht überschritten werden.

4.3.2 Schutzmaßnahmen gegen Unterschreitung des zulässigen Betriebsdrucks

Zum Beispiel:
Bei einer Druckanlage kann im Zuge von Entleervorgängen oder bei bestimmten Prozessschritten neben Überdruck auch Unterdruck entstehen.

Schutzmaßnahme:
Als Betriebsparameter wird neben dem Überdruck auch ein Wert für den Unterdruck spezifiziert und zusätzlich bei der Beschaffung berücksichtigt.

4.3.3 Schutzmaßnahmen gegen Überschreitung der zulässigen mechanischen Werkstoffbeanspruchungen

Zum Beispiel:
Bei einer Rohrleitung ist es aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich, Zwängungskräfte infolge temperaturbedingter Längenänderungen durch eine entsprechende Rohrleitungsverlegung zu kompensieren. Am Anschluss der Rohrleitung an einen Druckbehälter kommt es deshalb zu größeren Kräften und Momenten.

Schutzmaßnahme:
Neben den Werten für Druck und Temperatur werden zusätzliche Werte für äußere Kräfte und Momente für den Anschlussstutzen der Rohrleitung als Betriebsparameter spezifiziert.

4.3.4 Schutzmaßnahmen gegen das Versagen der sicherheitsrelevanten Ausrüstung

Zum Beispiel:

  1. Die Funktionsfähigkeit eines Sicherheitsventils wird durch die Einbausituation beeinflusst.
     
    Schutzmaßnahme:
    Bei der Auswahl und Beschaffung eines geeigneten Sicherheitsventils werden die Druckverluste in den Zuführ- und Abblaseleitungen spezifiziert.
  2. Die Funktionsfähigkeit eines Sicherheitsventils wird durch die Stoffeigenschaften beeinflusst.
     
    Schutzmaßnahme:
    Bei aggressiven oder verklebenden Fluiden wird spezifiziert, dass dem Sicherheitsventil eine Berstscheibe vorgeschaltet wird.

4.3.5 Schutzmaßnahmen bei der Aufstellung und gegenüber Einflüssen aus Umgebungsbedingungen

Zum Beispiel:

  1. Druckanlagen bzw. deren Anlagenteile müssen so aufgestellt werden, dass keine Belastungen auftreten, die bei der Auslegung und Fertigung nicht berücksichtigt wurden. Ebenso muss gewährleistet sein, dass die Funktionsfähigkeit der sicherheitsrelevanten Ausrüstung nicht negativ beeinflusst wird.

    Schutzmaßnahmen hierzu sind zum Beispiel:
    a) Die Gründung der Druckanlage wird so ausgeführt, dass durch die Gründung selbst, durch das Eigengewicht einschließlich des Fluids oder des Druckprüfmittels bei der Druckprüfung und durch äußere Kräfte keine unzulässigen Verlagerungen oder Neigungen auftreten können.
    b) Die Kennzeichnung, leichte Zugänglichkeit und Einsehbarkeit der sicherheitsrelevanten Ausrüstung von Druckanlagen wird sichergestellt.
    c) Die Druckanlage und die sicherheitsrelevante Ausrüstung werden gegen schädliche Umwelt-, Umgebungs- sowie Witterungseinflüsse geschützt, sofern hierdurch ihre Funktion beeinträchtigt werden kann.
    d) Versuchsautoklaven, bei denen die bei den Versuchen zu erwartenden Drücke und Temperaturen nicht sicher bekannt sind, werden in besonderen Kammern oder hinter Schutzwänden aufgestellt, die so gestaltet sind, dass die Versuchsautoklaven gegen Einwirkung von außen gesichert sowie Beschäftigte und andere Personen im Gefahrenbereich im Falle eines Versagens des Versuchsautoklaven geschützt sind. Bei diesen Druckgeräten für Versuchszwecke sind Sicherheitseinrichtungen gegen Druck- und Temperaturüberschreitung nicht zweckdienlich. Die Beobachtung der Sicherheits- und Messeinrichtungen und die Bedienung des Versuchsautoklaven müssen von sicherer Stelle aus erfolgen.
  2. Zur Vermeidung einer unzulässigen Erwärmung durch eine Brandlast, die ein Versagen drucktragender Wandungsteile, sicherheitstechnisch relevanter Ausrüstungsteile und tragender Bauteile, wie z. B. Stahlstützen, Standzargen und Tragpratzen von Druckanlagen bzw. ihren Teilen, bewirken könnte, werden Schutzmaßnahmen zum Schutz von Beschäftigten und Personen im Gefahrenbereich getroffen.

    Schutzmaßnahmen sind zum Beispiel:
    a) Schutzabstand,
    b) Schutzwand,
    c) Erddeckung,
    d) Brandschutzdämmung,
    e) stationäre Feuerlöschanlagen,
    f) Berieselungsanlagen.
    Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Druckanlage nicht für die bei einem Brandfall auftretenden Temperaturen ausgelegt wird.

 

4.4 Festlegung von Schutzmaßnahmen im Rahmen der Montage und Installation

Bei Montage und Installation können die nachfolgenden Schutzmaßnahmen zielführend sein:

  1. Druckanlagen und deren Teile werden so montiert, dass sie beim späteren Betrieb ihre Lage nicht unzulässig verändern. Lageveränderungen von Rohrleitungen können z. B. vermieden werden, wenn:
    a) temperaturbedingte Dehnungen bei der Verlegung berücksichtigt und längere Rohrleitungen mit elastischen Zwischenstücken, z. B. mit Kompensatoren und Dehnschenkeln, ausgerüstet sind, soweit nicht die Rohrführung eine ausreichende Dehnung ermöglicht,
    b) oberirdische Rohrleitungen auf einer ausreichenden Zahl von Stützen aufliegen, sodass eine unzulässige Durchbiegung vermieden wird und sie so befestigt sind, dass gefährliche Lageveränderungen nicht eintreten können,
    c) erdgedeckte Rohrleitungen so verlegt sind, dass sie gleichmäßig aufliegen,
    d) Festpunkte so ausgeführt werden, dass sie die auftretenden Schnittlasten abtragen können,
    e) Armaturen durch ihr Eigengewicht die Rohrleitung nicht überlasten sowie durch die Betätigungskräfte keine unzulässigen Beanspruchungen auf die Rohrleitung übertragen werden.
  2. Absperreinrichtungen vor oder hinter Ausrüstungsteilen mit Sicherheitsfunktion werden gegen unbeabsichtigtes Schließen, Verstellen oder Betätigen gesichert.
  3. Bei absperrbaren Abschnitten von Druckanlagen, bei denen ein unzulässiger Druckanstieg infolge behinderter Wärmeausdehnung von Fluiden (Flüssigkeiten oder Gase in flüssigem Zustand) möglich ist, werden geeignete Schutzmaßnahmen getroffen, zum Beispiel:
    a) Ausrüstung mit Überströmventilen oder Druckentlastungseinrichtungen,
    b) Verriegelung der Armaturen in Offenstellung.
  4. Ein unzulässiger Druckanstieg wird bei druckverflüssigten Gasen, bei denen der Druck ohne Volumenentlastung den Gesetzmäßigkeiten der Dampfdruckkurve folgt, durch Kühlmaßnahmen vermieden.
  5. Anlagenteile, die mit Gasen oder Dämpfen mit auskondensierbaren Anteilen betrieben werden, insbesondere Dampfmaschinen, Dampfturbinen und Dampfleitungen, werden entwässert und erforderlichenfalls vorgewärmt, um Flüssigkeitsschläge zu vermeiden.
  6. Verdichterstationen werden mit Ausrüstungsteilen mit Sicherheitsfunktion ausgerüstet, die verhindern, dass während des Förderbetriebes und der Förderpausen unzulässige Drücke auftreten.
  7. Die Einhaltung der zulässigen Betriebsparameter bei chemischen Reaktionen wird durch Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion gewährleistet, wie zum Beispiel:
    a) Dosierfehler werden verhindert durch
    Dosierpumpen mit definierten Mengenströmen,
    Einrichtungen zur Mengenmessung im Zulauf oder Füllstanderfassung, welche beim Erreichen von definierten Grenzwerten selbsttätig wirkende Schutzmaßnahmen einleiten, z. B. das Schließen der Zuläufe,
    zwangsverriegelte Produktzuläufe.
    b) Die Akkumulation von unkontrollierbaren Reaktionspotenzialen infolge verzögerter oder nicht einsetzender Reaktionsverläufe, wie z. B. durch unzureichende Durchmischung, unzureichende Startenergie oder zu niedrige Anfangstemperatur, wird durch Schutzmaßnahmen zur Reaktionsüberwachung und ggf. Reaktionsführung verhindert. Hierbei können Einrichtungen
    zum Überwachen der Drehzahl des Rührwerks,
    zum Vergleich der Ist- und Soll-Temperaturverläufe,
    zur Kontrolle des Kühlmediumbedarfs bzw. der Wärmeaufnahme,
    zur Erstellung von Stoffmengenbilanzen oder sicherheitstechnische Systeme auf Basis von Prozessmodellen

    zum Einsatz kommen.
  8. Es werden Schutzmaßnahmen zur Druck- und Temperaturüberwachung getroffen, die selbsttätig wirkende Vorgänge einleiten, wenn weitere Ursachen, wie z. B. ein Ausfall der Kühlung oder Eintrag von Verunreinigungen, zu Reaktionsabläufen mit Überschreitung der zulässigen Betriebsparameter führen können.
  9. Es werden Schutzmaßnahmen zur Notabschaltung und Überführung der Anlage in einen sicheren Zustand getroffen, z. B. durch Not-Aus-Systeme oder Reaktionsstopper.
  10. Es werden Schutzmaßnahmen zur Überführung der Druckanlage in einen sicheren Zustand getroffen, z. B. eine Teilabschaltung, Aufrechterhaltung der Kühlung und ggf. weitere Versorgungssysteme.

 

4.5 Festlegung von Schutzmaßnahmen im Rahmen der Verwendung

4.5.1 Schutzmaßnahmen während Erprobung sowie An- und Abfahren

(1) Schutzmaßnahmen im Zuge der Erprobung beinhalten Prüfschritte des Arbeitgebers nach dem erstmaligen Inverkehrbringen, vor der ersten Inbetriebnahme sowie nach prüfpflichtigen Änderungen, um die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit einer Druckanlage und deren Anlagenteilen zu überprüfen. Es werden z. B. Einstellarbeiten und Prüfschritte zur Sicherstellung der geplanten Produkterzeugung (Spezifikation, Durchsatz usw.) durchgeführt.

(2) Folgende beispielhaft genannten Schutzmaßnahmen sind zur Erfüllung dieser Anforderungen geeignet:

  1. Es wird ein schriftliches Arbeitsprogramm für Erprobungen erstellt, in dem die Folge der einzelnen Erprobungsphasen sowie die zu treffenden Schutzmaßnahmen bestimmt sind. Hierbei wird die Betriebsanleitung des Herstellers als Erkenntnisquelle berücksichtigt. Sofern bei der Erprobung zusätzliche Gefahren entstehen können, werden weitergehende Schutzmaßnahmen festgelegt, welche die Sicherheit gewährleisten.
  2. Es werden organisatorische Schutzmaßnahmen getroffen, wenn die für den bestimmungsgemäßen Betrieb vorgesehenen Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion kurzzeitig überbrückt oder ausgeschaltet werden müssen, um das Ziel der Erprobung zu erreichen.
  3. Die Druckanlagen bzw. -anlagenteile werden vor dem Anfahren kontrolliert. Die Kontrolle umfasst, z. B. nach Instandsetzungsmaßnahmen, ob aus dem Inneren fremde Gegenstände bzw. Stoffe entfernt wurden, Teile verwechselt wurden, Entleerungseinrichtungen geschlossen wurden und lösbare Teile befestigt und ggf. eingebaute Blindflansche entfernt worden sind. Weiterhin wird geprüft, ob die Verfahrenswege offen und die sicherheitsrelevanten Ausrüstungsteile funktionsfähig sind.
  4. Es wird überwacht, ob während des An- und Abfahrens die bestimmungsgemäßen Parameter, wie z. B. die Druck- und Temperaturänderungsgeschwindigkeiten, eingehalten werden und ob Ventile und Absperreinrichtungen entsprechend den Vorgaben geöffnet oder geschlossen werden.

4.5.2 Schutzmaßnahmen im Betrieb und während der Instandhaltung

Zur Einhaltung der zulässigen Betriebsparameter können die nachfolgend beispielhaft genannten Schutzmaßnahmen zusätzlich zu den unter Abschnitt 4.4 aufgeführten Schutzmaßnahmen notwendig sein:

  1. Die Wartung der Anlage wird nur an solche unterwiesene Beschäftigte übertragen, die mit den besonderen Betriebsverhältnissen der Anlage vertraut sind.
  2. Wenn die Einhaltung der zulässigen Betriebsparameter nicht ausschließlich über technische Schutzmaßnahmen sichergestellt werden kann, werden organisatorische Schutzmaßnahmen in einer Betriebsanweisung festgelegt.
  3. Beispiel: Wenn eine Überdrucksicherung mittels Sicherheitsventil aufgrund von Fluideigenschaften, wie z. B. staubendes oder sublimierendes Beschickungsgut, nicht möglich und der Einsatz einer sicherheitsrelevante MSR-Einrichtung nicht zweckdienlich ist, wird durch den Einsatz von Warneinrichtungen und manuelles Eingreifen der Schutz hergestellt.
  4. Durch Reinigung bzw. Entfernung von Produktrückständen oder Nebenprodukten wird eine Anreicherung von Ablagerungen oder Verkrustungen verhindert, wenn hierdurch gefahrdrohende Zustände vermieden werden können.
  5. Die innere Dichtheit der Anlage und der Anlagenteile wird, sofern die Gefahr einer physikalischen Explosion beim Kontakt einer kalten Flüssigkeit mit einer heißen Schmelze oder Flüssigkeit oder einer nicht tolerablen chemischen Reaktion beim Kontakt zweier Fluiden besteht, überwacht, z. B. durch Prüfung
    a) des Zustandes der Rohre von Rohrbündelwärmetauschern mittels zerstörungsfreier Prüfmethoden,
    b) der Dichtheit (durch auf die Problemstellung zugeschnittene Dichtheitsprüfungen).
  6. Flüssigkeiten und Gase im flüssigen Zustand werden nicht mit Gasen gefördert, die mit dem zu fördernden Fluid reagieren oder die Eigenschaften des Fluids in gefährlicher Weise verändern oder eine unzulässige Drucksteigerung hervorrufen, z. B. durch Addition der Partialdrücke.
  7. Wird zur Förderung Luft verwendet, darf dies nicht zur Entzündung der geförderten Stoffe führen. Dies gilt insbesondere für die Förderung von Stäuben oder körnigen, mit Stäuben vermischten Feststoffen. Dies wird z. B. erreicht, wenn die Temperatur der zur Förderung verwendeten Luft vor dem Kontakt mit dem Fördergut eine stoff- und ggf. druckabhängige Temperatur nicht überschreitet, die vom Arbeitgeber in der Betriebsanweisung festgelegt wird.
  8. Sollen Fahrzeugbehälter für flüssige, körnige oder staubförmige Güter ohne eigene Sicherheitseinrichtungen befüllt oder entleert werden, legen die beteiligten Arbeitgeber die notwendigen Schutzmaßnahmen fest.
  9. Der Absicherungsdruck an der Anschlussstelle ist gleich oder kleiner als der maximal zulässige Druck (PS) des Fahrzeugbehälters.
  10. Unzulässige Druckstöße beim Betrieb von Rohrleitungen werden vermieden, z. B. durch
    a) ausreichende Öffnungs- und Schließzeiten von Absperrarmaturen,
    b) Festlegungen zum Ablauf des An- und Abfahrens von Pumpen.
  11. Für sicherheitsrelevante Ausrüstungen werden Wartungs- und Prüfpläne erstellt und umgesetzt. Hierin werden z. B. berücksichtigt:
    a) Einflüsse durch Einfrieren, Verstopfen, Korrosion,
    b) Festlegungen zu Prüfintervallen unter Berücksichtigung von Betriebsweise und Betriebserfahrung,
    c) Prüfungen auf Dichtigkeit und Gangbarkeit mechanisch bewegter Teile,
    d) Betrachtungen zur gesamten jeweiligen Sicherheitskette, wie z. B. gesteuerte Sicherheitsventile und sicherheitsrelevante MSR-Einrichtungen.
  12. Montage- und Anstricharbeiten werden so ausgeführt, dass die Funktionsfähigkeit von Ausrüstungsteilen mit Sicherheitsfunktion nicht beeinträchtigt wird. Hierzu gehört auch, dass Bezeichnungs- und Typenschilder nicht durch Beschichtung oder Anstrich unlesbar gemacht werden.

4.5.3 Schutzmaßnahmen beim Betrieb von Dampfkesselanlagen

(1) Dampfkesselanlagen sind Arbeitsmittel, deren Verwendung mit besonderen Gefährdungen verbunden ist. Der Arbeitgeber hat daher für den Betrieb von Dampfkesselanlagen hierauf abgestimmte Schutzmaßnahmen festzulegen. Solche Schutzmaßnahmen sind insbesondere:

  1. Bei Dampf- oder Heißwassererzeugern, die nach Anhang 2 Abschnitt 4 Nummer 6 Tabelle 2 BetrSichV wiederkehrend ZÜS-prüfpflichtig sind, erfolgt eine Beaufsichtigung während des Betriebs der Dampfkesselanlage durch hierzu beauftragte Beschäftigte zur Verhinderung von unzulässigen oder instabilen Betriebszuständen. Beauftragte Beschäftigte weisen dabei umfassende Kenntnisse über die Betriebsverhältnisse der Anlage, über möglicherweise auftretende Störungen und die zu ergreifenden Maßnahmen auf.

    Die Beaufsichtigung kann von einer Leitwarte aus erfolgen, in der alle für den sicheren Betrieb und die Bedienung der Dampfkesselanlage erforderlichen Einrichtungen angeordnet sind. Die Beaufsichtigung kann auch von einer Fernwarte, die außerhalb des Betriebsgeländes gelegen ist, erfolgen, sofern hierzu zusätzliche technische und organisatorische Maßnahmen festgelegt worden sind. Bei Ausfall der Datenübertragungsstrecke müssen die Feuerung oder anderweitige Beheizungen sicherheitsgerichtet abgeschaltet werden, es sei denn, die Dampfkesselanlage wird vor Ort beaufsichtigt oder sie ist für einen Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung erlaubt. Empfehlungen zum Schutz gegenüber Angriffen auf die Sicherheit der Datenübertragungsstrecke sind der EmpfBS 1115 zu entnehmen.
  2. Für den Betrieb der Dampfkesselanlage wird eine Betriebsanweisung erstellt und umgesetzt, in der regelmäßige Kontrollen, Wartung und Prüfung der Sicherheit beeinflussenden Ausrüstungsteile sowie zusätzliche Maßnahmen bei Störungen beschrieben werden.
  3. Regelmäßige Kontrollen und Wartungen werden durch das Bedienpersonal durchgeführt. Bei auftretenden Störungen werden Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten durch fachkundige, beauftragte und unterwiesene Beschäftigte oder von sonstigen für die Durchführung der Instandhaltungsarbeiten geeigneten Auftragnehmern mit vergleichbarer Qualifikation durchgeführt.
  4. Das Kessel-, Speise- und Zusatzwasser (Betriebswasser) müssen für den Betrieb der Dampfkesselanlage geeignet sein. Gegebenenfalls ist hierfür eine automatische Abschlämm- und/oder Absalzungsvorrichtung erforderlich. Die Eignung wird regelmäßig entsprechend der Beaufsichtigungsform innerhalb von 24 Stunden, 72 Stunden oder längstens 168 Stunden untersucht. Die Betriebswässer sind darüber hinaus regelmäßig in Abständen von höchstens sechs Monaten durch ein unabhängiges internes oder externes Labor zu überprüfen. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ist die Möglichkeit eines den Dampfkessel gefährdenden Einbruchs von Fremdstoffen in das Kondensat oder in das Kreislaufwasser von Heißwassererzeugern zu betrachten. Gegebenenfalls sind eine diesbezügliche Überwachung oder bei Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung zusätzlich selbsttätig wirkende Schutzeinrichtungen erforderlich.
  5. Die Ergebnisse von Überprüfungen, von regelmäßigen betrieblichen Wasseruntersuchungen sowie Vermerke über Störungen werden dokumentiert.

(2) Eine Dampfkesselanlage darf für einen Zeitraum von längstens 168 Stunden ohne ständige Beaufsichtigung durch einen beauftragten Beschäftigten betrieben werden, wenn sie aufgrund technischer und organisatorischer Schutzmaßnahmen für einen Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung geeignet ist.

Bei nicht ordnungsgemäßer Wirksamkeit von Reglern und anderen Überwachungseinrichtungen, die zum zeitweisen Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung erforderlich sind, muss eine unmittelbare Beaufsichtigung der Dampfkesselanlage durch hierzu beauftragte Beschäftigte erfolgen, sofern der sichere Betrieb dadurch weiterhin gewährleistet ist. Bei Ausfall von Begrenzern wird die Beheizung unmittelbar abgeschaltet.

(3) Für einen Betrieb der Dampfkesselanlage ohne ständige Beaufsichtigung kann sich der Arbeitgeber auf die technischen Unterlagen des Herstellers abstützen, sofern diese erkennen lassen, dass die Dampfkesselanlage einer bestimmungsgemäß für den Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung für den entsprechenden Zeitraum ausgerüsteten Baugruppe nach der Richtlinie 2014/68/EU entspricht. In die Betriebsanweisung sind organisatorische Schutzmaßnahmen aufzunehmen, die den sicheren Betrieb der Dampfkesselanlage während des Anfahrens und während des Betriebszeitraums ohne ständige Beaufsichtigung beschreiben.

(4) Bei einem Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung der Dampfkesselanlage von mehr als 72 Stunden und bis zu 168 Stunden sind folgende zusätzliche technische und organisatorische Schutzmaßnahmen erforderlich:

  1. Es ist sicherzustellen, dass Undichtigkeiten der Brennstoffsicherheitsabsperreinrichtungen über einen Zeitraum bis zu 168 Stunden nicht zu einer Ansammlung von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre im Feuerungsraum führen.
  2. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung sind bei der Festlegung des Schutzkonzepts die für den Zeitraum ohne ständige Beaufsichtigung bis zu 168 Stunden gegebenenfalls zusätzlich relevanten Betriebsparameter zu ermitteln. Diese Betriebsparameter sind durch sicherheitsrelevante MSR-Einrichtungen zu überwachen, und bei Überschreiten von Grenzwerten ist die Dampfkesselanlage selbsttätig in den sicheren Zustand zu bringen.
  3. Im Kesselaufstellungsraum ist eine Überwachung zu installieren, die bei Austritt von gasförmigem Brennstoff im Kesselaufstellungsraum die Brennstoffzufuhr in den Kesselaufstellungsraum selbsttätig unterbindet.
  4. Im Kesselaufstellungsraum ist eine Überwachung zu installieren, die bei einem Brand die Brennstoffzufuhr in den Kesselaufstellungsraum selbsttätig unterbindet oder einen Alarm an einer ständig besetzten Stelle ausgibt.
  5. Im Kesselaufstellungsraum ist eine Überwachung zu installieren, die bei einem gefährdenden Medienaustritt die Dampfkesselanlage selbsttätig in den sicheren Zustand versetzt oder einen Alarm an einer ständig besetzten Stelle ausgibt.
  6. Die Vorgehensweise bei Alarmen, die von der ständig besetzten Stelle entgegengenommen werden, ist in einer Betriebsanweisung festzulegen. In den oben genannten Fällen ist die Dampfkesselanlage von unterwiesenem Personal der ständig besetzten Stelle in den sicheren Zustand zu versetzen, sofern dies nicht selbsttätig erfolgt. Dies kann durch eine zuverlässige Abschaltung von der ständig besetzten Stelle aus oder unter Einbeziehung von Personal vor Ort erfolgen.

(5) Bei der Gefährdungsbeurteilung sind die Intervalle regelmäßiger Kontrollen, Wartung und Prüfungen auf den Betriebszeitraum ohne ständige Beaufsichtigung abzustimmen. Dies kann bei einem Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung bis längstens 72 Stunden die Festlegung einer zweiten jährlichen äußeren Prüfung im Sinne von Anhang 2 Abschnitt 4 Nummer 5.8 Tabelle 1 Zeile 1 BetrSichV erfordern. Bei einem Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung von mehr als 72 Stunden und bis zu 168 Stunden soll die Frist für die wiederkehrende äußere Prüfung im Sinne von Anhang 2 Abschnitt 4 Nummer 5.8 Tabelle 1 Zeile 1 BetrSichV ein halbes Jahr nicht überschreiten.

(6) Für Dampfkesselanlagen, die in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme ohne Anforderungen an die Beaufsichtigung betrieben werden konnten und für die ausreichend betriebliche Erfahrung über den sicheren Betrieb vorliegen, kann der Arbeitgeber abweichende Festlegungen zur Beaufsichtigung treffen.

(7) Das Anfahren von Dampfkesselanlagen kann von beauftragten Beschäftigten auch ohne Anwesenheit im Kesselaufstellungsraum von einer Leitwarte oder Fernwarte aus vorgenommen werden, wenn ein anlagenspezifisches Überwachungskonzept vorliegt.

(8) Die Änderung der Beaufsichtigung von Dampfkesselanlagen der Kategorie IV nach Diagramm 5 der Richtlinie 2014/68/EU stellt eine Änderung der Betriebsweise dar, die nach § 18 BetrSichV der Erlaubnis durch die zuständige Behörde bedarf. Bei Umstellung auf einen Betrieb ohne ständige Beaufsichtigung sind bei der Gefährdungsbeurteilung gegebenenfalls zusätzlich zu überwachende Betriebsparameter zu ermitteln, und die darauf abgestimmte Ausrüstung der Dampfkesselanlage festzulegen. Die Prüfung vor Wiederinbetriebnahme nach prüfpflichtiger Änderung entsprechend § 15 Absatz 1 BetrSichV bezieht sich in diesem Fall auf das geänderte Schutzkonzept und auf die gegebenenfalls zusätzlichen Ausrüstungen.

4.5.4 Schutzmaßnahmen bei Betriebsstörungen

(1) Ergibt sich während des Betriebes einer Druckanlage eine Gefährdung für die Beschäftigten, z. B. durch einen unvorhergesehenen Reaktionsablauf oder durch eine gefährliche Einwirkung von außen, sind die erforderlichen Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

(2) Sind beispielsweise gefährdende Undichtigkeiten an Dampfkesselanlagen, Leitungen, Armaturen oder sonstigen Betriebseinrichtungen entstanden, die nicht sofort abgestellt werden können, oder sind sonstige durch Störungen hervorgerufene Gefahrenbereiche entstanden, so ist zu veranlassen, dass Beschäftigte und andere Personen unverzüglich den Gefahrenbereich verlassen. Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass der Gefahrenbereich abgegrenzt und gekennzeichnet wird.

(3) Gefahrenbereiche dürfen nur betreten werden, wenn dies von der dafür zuständigen Person angeordnet wird und die für die Arbeiten im Gefahrenbereich notwendigen Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt sind.

(4) Die notwendigen Schutzmaßnahmen bei absehbaren Betriebsstörungen sind vorab festzulegen.