Damoklesschwert "wesentliche Veränderung"

Modifikationen von Maschinen und die manchmal damit verbundenen weitreichenden Folgen

Titelbild: Maschinenhalle

Bild oben: Erweiterung der Einhausung des Füllers durch erhöhte transparente Schutztüren, neue Personenschutzschalter und neue sicherheitsgerichtete Steuerung: wesentliche Veränderung ja oder nein?

Umbau und Erweiterungen von Maschinen sind in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie an der Tagesordnung. Werden Maschinen durch Um- oder Anbau verändert, gelten sie unter Umständen als neue Maschinen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff "wesentliche Veränderung" entscheidend. Ob es sich um eine solche handelt, ist für Betriebe oft schwierig zu beurteilen. Eine Hilfestellung.

von Thomas Gangkofner

Dipl.-Ing. Thomas Gangkofner ist Maschinensicherheitsexperte der BGN und betreut als Aufsichtsperson Mitgliedsbetriebe.

Alltag im Produktionsbetrieb: Maschinenteile werden ausgetauscht, Schutzeinrichtungen erweitert, ein Podest, eine automatische Beschickung oder ein Zuschnittmagazin werden angebaut. Hierbei ist zunächst einmal die Betriebssicherheitsverordnung zu beachten: Erstens muss die Maschine in dem sicheren Zustand erhalten werden, den sie beim Inverkehrbringen haben musste. Zweitens sind die Veränderungen nach dem Stand der Technik auszuführen. Die Maschine muss nach der Veränderung wieder mindestens genauso sicher sein wie zuvor.

Entscheidend: wesentliche Veränderung ja oder nein?

Veränderungen an Maschinen und Anlagen können geringfügig oder weitreichend sein. Das kann so weit gehen, dass aus gebrauchten Komponenten eine neue Maschine gebaut wird. In diesem Fall wird der Projektverantwortliche zum Hersteller dieser Maschine. Und als solcher muss er die Maschinenrichtlinie einhalten. Gleiches gilt, wenn eine gebrauchte Komponente selbst eine Maschine ist, die entweder mit anderen oder unvollständigen Maschinen zu einer Gesamtheit von Maschinen zusammengefügt wird oder als Basis für eine komplett neuartige Maschine dient.

Die entscheidende Frage lautet also: Ab wann wird ein Betrieb zum Hersteller, wenn er eine Maschine verändert? Dann, wenn es sich um eine wesentliche Veränderung handelt. Und hier liegt die Crux: Die Grenzen zwischen bloßer Veränderung und Neubau (= wesentliche Veränderung) sind fließend und es schwierig zu entscheiden, wann ein Veränderer zum Hersteller wird. Doch zunächst ein Blick auf die Folgen einer wesentlichen Veränderung.

Wesentliche Veränderung – Umbau mit weitreichenden Folgen

Die wesentliche Veränderung einer Maschine kann weitreichende Folgen haben und erhebliche Kosten nach sich ziehen. Mit der Ausstellung einer neuen Konformitätserklärung und dem Anbringen eines neuen CE-Kennzeichens ist es nämlich meist nicht getan. Nicht zu unterschätzen sind die umfangreichen Dokumentationspflichten.

Bei einer wesentlichen Veränderung muss die Risikobeurteilung nach Maschinenrichtlinie auf alle Bestandteile angewendet werden, z. B. auch auf die unverändert gebliebenen Maschinen, die Bestandteil einer wesentlich veränderten Gesamtheit von Maschinen (Maschinenanlage) sind. Nicht nur die veränderten Teile, sondern das Ganze muss nun dem Stand der Technik entsprechen, sonst wäre die Konformitätserklärung eine Falschdeklaration. Erst dann darf der Veränderer die Konformitätserklärung ausstellen und die CE-Kennzeichnung anbringen.

Als Hersteller einer neuen Maschine muss der Veränderer auch über die technischen Unterlagen verfügen. Das schließt alle Konstruktionspläne, Berechnungen, Zertifikate etc. und die Betriebsanleitung mit ein, über die schon der ursprüngliche Hersteller verfügen musste. Insbesondere, wenn der Veränderer nicht über die Originalunterlagen verfügt, muss er all diese Unterlagen selbst erstellen, was einer kompletten Neukonstruktion gleichkommt. Oft wäre dann der Erwerb einer neuen Maschine kostengünstiger.

Leitfäden: mehr Fragen als Antworten

Zurück zur entscheidenden Frage: wesentliche Veränderung oder nicht? Der Praktiker sucht Hilfestellung in einschlägigen Leitfäden (siehe Kasten). Keine dieser Auslegungen hat Gesetzeskraft. Es sind Leitfäden, wie der Name schon sagt. Das sollte man bei ihrer Anwendung und bei Diskussionen z. B. mit Vertragspartnern wissen.

Diese als Hilfestellung gedachten Interpretationen scheinen jedoch eher Probleme aufzuwerfen als zu lösen. Keine inhaltliche Hilfestellung gibt der Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie. Er rät lediglich dazu, im Zweifel die zuständigen Behörden zurate zu ziehen. Der Blue Guide und das deutsche Interpretationspapier kommen teilweise schon bei geringfügigen Änderungen zu dem Ergebnis, es handele sich um eine wesentliche Veränderung – was Anwendern als unverhältnismäßig erscheint.

Bei Änderungen an Leistung, Verwendung oder Bauart soll laut Blue Guide anhand einer Risikobeurteilung festgestellt werden, ob sich die Änderung wesentlich auf die grundlegenden Sicherheitsund Gesundheitsschutzanforderungen der Produkt-Richtlinien auswirkt. In diesem Fall sei das Produkt, z. B. die Maschine, wie ein neues zu behandeln. Nach dem Guide mündet jede Änderung von Leistung, Verwendung oder Bauart in einer wesentlichen Veränderung, wenn sie zu einer Risikoerhöhung führt. Dies ist unverhältnismäßig und für den betrieblichen Alltag untauglich.

Das deutsche Interpretationspapier von 2015 ist kaum besser. Auch hier wird zwar von Risikobeurteilung gesprochen, eine Risikoeinstufung wie beim Vorgängerpapier aus dem Jahr 2000 unterbleibt aber leider. Es muss jede Änderung betrachtet werden, die sich auf die Rechtsgüter des Produktsicherheitsgesetzes (z. B. Sicherheit, Gesundheit, Umwelt) auswirken kann. Als nicht wesentliche Veränderung gelten der Austausch von Bauteilen durch identische oder gleichwertige Bauteile und der Einbau von Schutzeinrichtungen, wenn sie das Sicherheitsniveau erhöhen und keine zusätzlichen Funktionen ermöglichen. Was eine Zusatzfunktion ist, wird nicht gesagt. In allen anderen Fällen wird nach einem Abfrageschema vorgegangen (siehe Abbildung).

LEITFÄDEN
... zur Beurteilung einer wesentlichen Veränderung
  • Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie
  • Blue Guide (EU-Binnenmarktleitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016)
  • Deutsches Interpretationspapier zum Thema "Wesentliche Veränderung von Maschinen" (Bek. des BMAS vom 11.03.2015 – IIIb5-39607-3 – im GMBl 2015, Nr. 10, S. 183-186)
  • Alt: Interpretation des BMA und der Länder für den im GSG benutzten Begriff "wesentliche Veränderung" in Bezug auf Maschinen, Bundesministerium für Arbeit (Bek. des BMA vom 7. September 2000 – Bundesarbeitsblatt 11/2000, S. 35)

Das Abfrageschema

Wenn keine neue Gefährdung bzw. keine Erhöhung eines vorhandenen Risikos vorliegt, hat sich nichts geändert und die Maschine gilt nach wie vor als sicher: keine wesentliche Veränderung.

Wenn zwar eine neue Gefährdung bzw. eine Erhöhung eines vorhandenen Risikos vorliegt, aber die vor der Veränderung vorhandenen Schutzmaßnahmen der Maschine hierfür ausreichend sind, wird die Maschine nach wie vor als sicher angesehen: keine wesentliche Veränderung.

Sind die vorhandenen Schutzmaßnahmen jedoch nicht ausreichend oder geeignet, liegt eine wesentliche Veränderung vor, wenn die zusätzlichen oder erhöhten Risiken nicht durch "einfache Schutzeinrichtungen" hinreichend minimiert werden können. Einfach sind eine

Handelt es sich nicht um eine einfache Schutzeinrichtung oder sind andere Schutzmaßnahmen erforderlich, liegt eine wesentliche Veränderung vor. Die Folgen wurden eingangs skizziert.

Abfrageschema

Das kann für den Veränderer besonders bitter sein, wenn die Risikoerhöhung nur geringfügig ist und die Maßnahme etwas anderes ist als eine Schutzeinrichtung, z. B. bei ergonomischen Maßnahmen. Muss etwa die Zugänglichkeit durch einen Aufstieg verbessert, die Handhabung von Maschinenteilen durch eine eingebaute Hebehilfe erleichtert oder eine zusätzliche Beleuchtung eingebaut werden, ist dies nach dem Interpretationspapier von 2015 bereits eine wesentliche Veränderung.

Füllereinhausung

Bild oben: Die neue Füllereinhausung stellt keine wesentliche Veränderung dar. Ein Maschinensicherheitsexperte der BGN-Prüfstelle hat die geänderte Maschine beurteilt.

Was praktikabel ist

Was können Sie tun, um unnötigen Härten aus dem Weg zu gehen? Zunächst sollten Sie die Anwendung des Blue Guide vermeiden. Bagatellveränderungen mit minimaler Risikoerhöhung sollten Sie ohne Anwendung des Ablaufschemas von vornherein als nicht wesentlich einstufen.

Sofern aufgrund einer Veränderung Maßnahmen absehbar sind, die keine einfachen Schutzeinrichtungen sind, können Sie diese Maßnahmen schon im Vorfeld eines Umbaus durchführen. Nach dem Umbau wären dann die vorhandenen Schutzmaßnahmen ausreichend. Sie können z. B. erst die Schutzeinrichtungen erweitern sowie die Steuerung erneuern und dann die Veränderungen vornehmen. Die bestehenden Schutzmaßnahmen reichen dann aus und die Steuerung ist auf die Verarbeitung der neuen Signale bereits ausgelegt.

Bei Gesamtheiten von Maschinen können Sie überlegen, ob eine eventuelle Erweiterung innerhalb der Gesamtheit erfolgen muss oder ob Sie das gleiche Ziel außerhalb der Gesamtheit erreichen können. Viele Hersteller und Betreiber wenden noch immer das alte Interpretationspapier aus dem Jahr 2000 an (siehe Kasten), weil es noch eine Risikoeinstufung vornimmt.

Was wirklich wichtig ist: das Schutzziel im Auge behalten

Ein Dilemma bleibt jedoch: Faktisch wird aus einer alten Maschine niemals eine neue, wie sehr sie auch verändert wird. Für etwas Neues müssen alle konstruktiven Freiheiten gegeben sein. Die Auswahl von Verfahren, Technologien, Materialien und Bauteilen ist aber bei bereits in Verkehr gebrachten Maschinen kaum gegeben. Daher erscheint es bedenklich, eine nur veränderte Maschine als neu auszugeben.

Bei aller Diskussion über die Einstufung, ob die veränderte Maschine unter die Maschinenrichtlinie fällt oder nicht, sollte eines nicht vergessen werden: die Sicherheit der Maschine. Unabhängig vom anzuwendenden Recht muss den Beschäftigten am Ende immer eine sichere Maschine zur Verfügung stehen. Ein fehlendes oder zu Unrecht angebrachtes CE-Zeichen hat noch zu keinem Unfall geführt – im Gegensatz zu einer unsicheren Maschine, z. B. aufgrund einer fehlenden oder mangelhaften Risikobeurteilung. Daher sollte die Priorität auf einer sorgfältigen systematischen Risikobeurteilung liegen und auf einer Risikominderung nach dem Stand der Technik.

Bei Fragen helfen Ihnen die Maschinensicherheitsexperten der BGN. E-Mail: maschinensicherheit@bgn.de, Fon 0621 4456-3517

 

Autor: Thomas Gangkofner