Verwechslung ausgeschlossen

Das Mondelez-Konzept zum sicheren Abtanken von säure- und laugenhaltigen Reinigungskonzentraten

Bei der Anlieferung von saurem Reinigungskonzentrat war es im Oktober 2012 bei Mondelez im Werk Bad Fallingbostel zu einer folgenschweren Verwechslung gekommen. Versehentlich wurden 14 Kubikmeter konzentrierte Salpetersäure auf 10 Kubikmeter konzentrierte Natronlauge gepumpt. Heute ist ein solcher Verwechslungs-Unfall dank eines ausgefeilten Sicherheitskonzepts nicht mehr möglich. Das Mondelez-Konzept, dessen Kernstück zwei einfache technische Komponenten sind, ist auch für andere Unternehmen interessant.

von Dr. Jens Graulich

Dass Lauge und Säure heftig miteinander reagieren können, ist eine Binsenweisheit. Was passieren kann, wenn diese Reaktion im großen Maßstab abläuft, wurde im Oktober 2012 bei Mondelez (ehemals Kraft Foods) in Bad Fallingbostel ansatzweise sichtbar. Die Folge war einer der größten Feuerwehreinsätze, den Niedersachsen je erlebt hat, inklusive einer vorübergehenden Sperrung der Bundesautobahn A7, die in unmittelbarer Nähe am Werk vorbeiführt.

Dank der besonnenen Vorgehensweise von Betrieb und Hilfskräften kamen bei diesem Gefahrstoffunfall weder Menschen noch Umwelt zu Schaden. Zurück blieben ein durch zu hohe Temperaturen zerstörter Lagertank aus Kunststoff und die Verpflichtung, Derartiges in Zukunft zu verhindern. Dazu sollte eine sicherheitstechnische Lösung entwickelt werden, so dass menschliches Fehlverhalten keine Rolle mehr spielt.

Gängige Praxis
Um die Größe des Sicherheitsgewinns der bei Mondelez entwickelten Anlagentechnik zu erkennen, nachfolgend eine kurze Darstellung, wie in vielen Betrieben die tägliche Praxis bei der Übernahme von Reinigungskonzentraten aus Tankwagen aussieht.

Die Bestellung wird ausgelöst, der Liefertermin vereinbart. Wenn der Tankwagen auf dem Betriebsgelände ankommt, wird er an die entsprechende Abtankstation verwiesen. Dort findet dann – nach Prüfung der Papiere – der Abtankvorgang in die Vorratstanks statt. Standard ist, dass nach der formalen Prüfung Betriebsmitarbeiter den Tankstutzen für den Tankvorgang mit einem Schlüssel freigeben.

Nach der Freigabe koppelt der Tankwagenfahrer den Schlauch an den betrieblichen Tankstutzen an. Anschließend pumpt die Fahrzeugpumpe – unter Sichtkontrolle des Tankwagenfahrers – das Reinigungskonzentrat in den Vorratstank. Nach dem Abtanken entfernt der Fahrer den Schlauch und meldet die vollständige Ladungsübergabe einem Mitarbeiter des Betriebs. Dieser schließt die Übernahmestelle dann wieder ab. Bei diesem Procedere können Verwechslungen beim Abtanken verschiedener Medien nicht sicher ausgeschlossen werden.

Überlegungen zur Verbesserung der Sicherheit
Seit vielen Jahren gibt es Überlegungen, die Tankanschlüsse im Betrieb mit unterschiedlich gestalteten Anschlussstücken auszustatten, um so eine Verwechslung der Reinigungskonzentrate zu verhindern. In der Praxis allerdings hat jeder Tankwagenfahrer für jede Eventualität beim Kunden ein passendes Übergangsstück an Bord. Tankanschlüsse mit verschiedenen Durchmessern oder Passungen führen also nicht zu mehr Sicherheit.

In der Molkerei Zott* in Mertingen hatte man bereits 2004 Überlegungen angestellt, wie das Abtankverfahren verwechslungssicher wird. Herausgekommen war ein ausgeklügeltes und mit dem BGN-Präventionspreis 2004 ausgezeichnetes Konzept aus Sicherheits- und Verfahrenstechnik. Es beinhaltet u. a., dass bei jeder Anlieferung die Prüfung der Dokumente durch eine Probenahme und eine chemisch-pysikalische Identitätsprüfung des angelieferten Reinigungskonzentrats im betriebseigenen Labor abgesichert wird. Da Probenahme und Identitätsprüfung Zeit kosten und zudem eine Gefährdung durch die konzentrierten Gefahrstoffe nicht auszuschließen ist, hat sich dieses Verfahren nicht flächendeckend durchgesetzt.

· * Das von Zott entwickelte und umgesetzte Konzept ist nachzulesen in akzente 5/2005. „Wenn der Leitstand grünes Licht gibt

Schematische Darstellung (Bild unten) und praktische Umsetzung (Bild oben).

Das Mondelez-Konzept
Bei Mondelez im Werk Bad Fallingbostel beschritt man nach sehr konstruktiven Beratungen zusammen mit der Gewerbeaufsicht, dem Anlagenbauer und der BGN einen anderen Weg. Bei den Überlegungen stand die gesamte Tankanlage mitsamt der Annahme vom Tankwagen und der Verteilung in die Ringleitungen zur Disposition. Sie wurde neu und räumlich großzügiger gestaltet. Erarbeitet wurde das Gesamtkonzept von einer Projektgruppe aus Mitarbeitern der Abteilungen Molkerei und Technik, denen Sicherheitsfachkraft Jürgen Bremer beratend zur Seite stand. Kernstück des Mondelez- Konzepts sind zwei grundlegende Entscheidungen:

1. Automatische Sicherheitseinrichtung vor der Pumpe
Vor der Pumpe wird eine automatische Sicherheitseinrichtung installiert, die aus zwei Stationen besteht. Die erste Station kann anhand der Dichte – in diesem Fall – zwischen Salpetersäure und Natronlauge unterscheiden. Das geschieht mit einer in der Rohrleitung befindlichen Schwinggabel. Die zweite Station besteht aus einer Reaktionskammer, in der das anstehende Reinigungskonzentrat auf einen Rest der letzten Betankung trifft. Hier wird geprüft, ob es zu einer Wärmeentwicklung kommt. Erst wenn die Sicherheitseinrichtung keine Wärmeentwicklung (also keine chemische Reaktion) meldet, kann die Pumpe in Betrieb genommen werden.

2. Förderung mit betriebseigener Pumpe
Damit die Sicherheitseinrichtung direkt auf die Steuerung der Pumpe und Ventile wirkt, fördert eine betriebseigene Pumpe – und nicht die des Tankwagens – das Reinigungskonzentrat.

Die einzelnen Verfahrensschritte bei Mondelez
Leitende Mitarbeiter der Abteilung Molkerei geben die Bestellung der Reinigungskonzentrate auf und melden sie parallel unter Angabe des Stoffs, der Menge und des bestätigten Liefertags an die Pforte. In der Molkerei und an der Pforte liegen jetzt gleichlautende schriftliche Meldungen für diese Anlieferung vor.

Bei Ankunft des Tankwagens im Werk werden an der Pforte und in der Abteilung Molkerei unabhängig voneinander die Unterlagen des Fahrers (Lieferschein/Gefahrgutbegleitpapier) mit den Daten der Bestellung verglichen. Anschließend beschafft einer der beiden leitenden Mitarbeiter den Schlüssel für den Tankanschluss, und einer von 10 berechtigten Mitarbeitern öffnet den Raum für die Übernahme.

Der Tankwagenfahrer stellt seine Schlauchver bindung her und öffnet das Bodenventil seines Tanks. Nach dem manuellen Entlüften der Rohrleitung an der Sicherheitsinstallation steht das Reinigungskonzentrat bis zum Absperrventil vor der Pumpe an, ohne dass eine aktive Förderung erforderlich war. In dieser Rohrleitung findet zunächst die Dichteprüfung und ein paar Zentimeter weiter die Temperaturkontrolle statt. Erst wenn die Dichte im erwarteten Bereich liegt und zusätzlich eine Temperaturerhöhung durch eine Reaktion mit der verbliebenen Menge der letzten Betankung ausbleibt, meldet die Steuerung „Tankvorgang kann beginnen“. Erst jetzt lässt sich die Pumpe starten. Während des Abtankens bedient der Fahrer einen Totmann-Schalter der betrieblichen Technik.

Weitere Vorteile dieser Sicherheitstechnik: Die Pumpe des Tankwagens kommt gar nicht zum Einsatz. Damit ist auch verhindert, dass sie längere Zeit gegen ein verschlossenes Ventil pumpt. Und: Am Ende des Abtankvorgangs gelangen keine Gasstöße in die Rohrleitungen. Sollte der Abtankvorgang wegen einer Vertauschung der Konzentrate nicht freigegeben werden, müssen nur der Schlauch und die Armaturen bis zur Pumpe gespült werden. Entsprechende Armaturen sind bereits vorhanden.

GEFAHRGUTKENNZEICHNUNG

Nicht immer eindeutig

Die Gefahrgutkennzeichnung des Tankwagens ist nicht immer eindeutig. Zum Beispiel kann für Zubereitungen auf Grundlage von Salpetersäure oder Natronlauge dieselbe Gefahrgutbeschilderung mit der Gefahrnummer 80 (ätzender Stoff) und UN-Nummer 1760 (ätzender, flüssiger Stoff, n.a.g.) verwendet werden. Eindeutige Auskunft über den bestimmenden Stoff der Zubereitung geben dann nur die Begleitpapiere (z. B. Lieferschein): „ ... enthält Salpetersäure“.

Bei Mondelez hat man die Zugangstüren zu den Abtankstationen mit der UN-Nummer von Salpetersäure (3264, ätzender saurer anorganischer flüssiger Stoff, n.a.g.) und Natronlauge (1824; Natriumhydroxidlösung) gekennzeichnet. Die Gefahrgutkennzeichnung des anliefernden Tankwagens muss die jeweils identische Kennzeichnung tragen. Dies wurde mit dem Lieferanten und Spediteur fest vereinbart. Andere Konzentrate werden nicht in Tankwagen angeliefert.

Auf andere Betriebe übertragbare Sicherheitstechnik
Beim Einsatz dieser beiden Detektionsarten gibt es Folgendes zu bedenken:

Die Unterscheidung der Reinigungskonzentrate anhand anderer Eigenschaften sicherzustellen, ist grundsätzlich denkbar. Entscheidender Faktor ist die Dauerbeständigkeit der Sensoren gegen die oft aggressiven Medien. Hier sollten interessierte Betriebe Kontakt mit einem Anlagenbauer aufnehmen.

· Interessierte Betriebe können sich an Sicherheitsfachkraft Jürgen Bremer bei Mondelez in Bad Fallingbostel wenden. Fon 05162 420

Seit Mai 2014 ist die neue Anlage bei Mondelez in Betrieb und die Erfahrungen sind durchweg positiv. Das Mondelez-Konzept ist auch für andere BGN-Mitgliedsbetriebe interessant, weil bestehende Anlagen in ähnlicher Form verwechslungssicher umgestaltet werden können. Sicherheitsfachkraft Jürgen Bremer gibt gern Hinweise zur Anlage und welche Fehler bei der Planung vermieden werden sollten.

Autor: Dr. Jens Graulich