Eine Norm für alle Verpackungsmaschinen

Die Norm EN 415-10 „Sicherheit von Verpackungsmaschinen – Teil 10: Allgemeine Anforderungen“

Betriebe mit unterschiedlichsten Verpackungsmaschinen können sich in derselben Norm schlau machen, wenn sie aufgrund der Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen nach dem Stand der Technik treffen müssen. Oder auch, wenn sie neu gekaufte Maschinen überprüfen müssen. Mit der EN 415-10 gibt es eine eigenständige, übergreifende Norm für alle Arten von Verpackungsmaschinen.

von Thomas Gangkofner

Kartonierer, Einschlagmaschinen, Form-, Füll-, Verschließmaschinen, Abfüllmaschinen, Palettierer: Verpackungsmaschinen sind so vielfältig wie die Verpackungen. Trotz aller Vielfalt gibt es auch Gemeinsamkeiten. Sie betreffen das Risiko an diesen Maschinen sowie die grundsätzlich notwendigen Maßnahmen, um dieses Risiko zu mindern. Diese Gemeinsamkeiten wurden herausgearbeitet und zusammen mit entsprechenden Anforderungen in einer gemeinsamen Norm zusammengefasst. Das Ergebnis ist die 2014 erschienene EN 415-10 „Sicherheit von Verpackungsmaschinen – Teil 10: Allgemeine Anforderungen“.

[ Dipl.-Ing. Thomas Gangkofner ist Maschinensicherheitsexperte der BGN und betreut als Aufsichtsperson Mitgliedsbetriebe. Er hat an der Erstellung der Norm EN 415-10 mitgearbeitet, in die u. a. Erkenntnisse der BGN-Prävention einflossen. ]

Anwender der EN 415-10 finden in der Norm zahlreiche Varianten von Schutzeinrichtungen, aber auch grundsätzliche Überlegungen zu Sicherheitskonzepten an Verpackungsmaschinen, zu Fehlanwendung, zu unerwartetem Anlauf oder der Einrichtung mehrerer Schutzbereiche. Die Norm ist eine wichtige und empfehlenswerte Hilfe für alle Betriebe, die Verpackungsmaschinen konstruieren oder benutzen.

Viele praktische Anwendungsfälle
Die EN 415-10 beschreibt konkrete Anforderungen und auch die grundsätzliche Vorgehensweise zur Risikominderung unter Beachtung der Maßnahmenhierarchie der Maschinenrichtlinie. So werden an erster Stelle die Methoden für eine inhärent sichere Konstruktion beschrieben. Wer diese Maßnahmen anwenden kann, erspart sich möglicherweise technische Schutzmaßnahmen, die oft hinderlich sein können. Solch inhärent sichere Lösungen sind aber nur begrenzt anwendbar. Deshalb sind technische Schutzmaßnahmen ein wichtiger Bestandteil sicherer Maschinen.

Die Norm beschreibt eine Reihe technischer Schutzmaßnahmen in Abhängigkeit u. a. von der Öffnungsgröße und von den realisierbaren Abständen zwischen Schutzeinrichtung und Gefahrstelle. Damit deckt sie viele praktische Anwendungsfälle ab.

DIE EN 415-10 IM ÜBERBLICK
  • Beachtung der Maßnahmenhierarchie der Maschinenrichtlinie
  • Schutzmaßnahmen und Maße entsprechend den Öffnungsgrößen
  • Veranschaulichung aller relevanten Abstände
  • Berücksichtigung gängiger Einsatzbedingungen
  • Maßgeschneiderte Schutzmaßnahmen für unterschiedliche Gegebenheiten

Schutzmaßnahmen an Öffnungen für den Produktein- und -austritt
Detailliert beschrieben sind insbesondere Schutzmaßnahmen an Öffnungen für den Produkteinund -austritt – und zwar für verschiedene Randbedingungen und Anforderungen. Vor allem für Öffnungsgrößen, die nicht mehr von der en iso 13857 erfasst werden, sind verschiedene praxisbewährte Sicherungsmöglichkeiten dargestellt – unterschieden nach mittelgroßen und großen Öffnungen. Wichtig dabei ist: Ein sicherer und bequemer Zugang zu den Eingriffspunkten ist bei allen Varianten unerlässlich, um ein Umgehen oder Manipulieren von Schutzeinrichtungen zu vermeiden.

[ Die EN 415-10 bietet Detaillösungen, vermittelt aber auch eine grundsätzliche Herangehensweise an die Risikominderung bei Verpackungsmaschinen. ]

Schutztunnel Bei mittelgroßen Öffnungen bietet die en 415-10 neben mehreren Varianten mit verriegelten Schutzeinrichtungen oder mit Annäherungsreaktion auch verschiedene Tunnellösungen an. Hierbei gibt es auch Lösungen, bei denen ein Teil des Schutztunnels nach innen geschoben ist und in den Schutzbereich der Maschine hineinragt. Auf diese Weise kann die Bauweise der Maschine verkürzt werden, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen. Denn der geforderte Sicherheitsabstand zwischen Gefahrstelle und Tunnelaußenkante bleibt eingehalten.

[ Grafik: Verringertes Quetschrisiko, Lichtschranke etwas zurückgesetzt ]

Bei mittelgroßen Öffnungen muss ein Mindestabstand zwischen Gefahrstelle und Tunnelaußenkante eingehalten sein, um einen ausreichenden Schutz gegen Ganzkörperzugang und Hineinlehnen sicherzustellen.

Lichtschranken und Lichtgitter
Auch für große Öffnungen, z. B. für die Durchfahrt voller Paletten, beschreibt die en 415-10 vielfältige Absicherungsmöglichkeiten. Beibehalten wurden die altbekannten Methoden mit 2- oder 3-strahligen Lichtschranken oder Lichtgitter. Um hier Lücken in der Absicherung zu vermeiden und ein Umgehen der Schutzeinrichtungen unmöglich zu machen, enthält die en 415-10 genaue Angaben zur vertikalen Anordnung der Lichtstrahlen sowie zur Positionierung von Zäunen und Lichtschrankensäulen im Verhältnis zur Außenkante der Ladung. Hierzu sind mehrere Konfigurationen illustriert.

In der Vergangenheit hatten Lücken im Schutzsystem zu mehreren tödlichen Unfällen geführt (wir berichteten in akzente 2/14). Die dargestellten Abstände sind Maximalabstände. Sie berücksichtigen sowohl die Zugangsverhinderung als auch die Minimierung einer möglichen Quetschgefahr.

Je geringer die Quetschgefahr durch die bewegte Ladung ist, desto weniger sollten die Maximalabstände ausgeschöpft werden. Das Quetschrisiko kann man durch geschicktes Positionieren der Lichtschranken weiter verringern. Dazu setzt man die Lichtschrankensäulen vom Ende des Zauns ein Stück zurück (siehe Grafik), so dass man mit dem Kopf die Gefahrstelle zwischen Palette und Säule nicht mehr erreichen kann.

Bei erhöhtem Quetschrisiko wie z. B. an Arbeitsplätzen im Bereich des Produktdurchlasses gibt es ebenfalls Möglichkeiten, das Risiko zu reduzieren: z. B. mit auslenkbaren Lichtschranken, zusätzlichen Schaltleisten oder verriegelten seitlichen Pendeltüren.

Nicht geeignet sind reine Sicherheitslichtschrankenlösungen für Ladeeinheiten mit unterschiedlichen Konturen, z. B. unterschiedlich hohe oder breite Palettenladungen. Hier sind Zusatzmaßnahmen erforderlich: z. B. die Sicherung mit Laserscanner oder vergleichbaren Einrichtungen. Sie ermöglichen Schutzfelder einzustellen, so dass unterschiedlich geformtes Ladegut vom Menschen unterschieden wird.

Rolltore und Pendeltüren
Alle Schutzeinrichtungen mit Annäherungsreaktion haben einen großen Abstand zur Gefahrstelle, der wegen der Annäherungsgeschwindigkeit einzuhalten ist. Oft aber fehlt hierfür der Platz. Deshalb beschreibt die en 415-10 für große Öffnungen als Alternative zu Lichtschrankenlösungen verriegelte Rolltore (Bild oben) oder Pendeltüren (Bild unten). Auch hier sind wie bei den Lichtschranken gegebenenfalls Zusatzmaßnahmen erforderlich.

Die Pendeltüren können durch die Palette selbst betätigt werden. Hierzu werden sie in Palettenhöhe mit Keilen versehen, die Störungen durch Verhaken vermeiden. Damit die Türen auch rechtzeitig wieder schließen, bevor eine Person in den Gefahrbereich gelangen kann, wird üblicherweise Federkraft oder Pneumatik verwendet. Für die Überwachung und Steuerung gelten die gleichen Vorgaben wie beim Muting von Sicherheitslichtschranken (bestimmungsgemäße Überbrückung während der Durchlaufzeit des Produkts). Es muss sichergestellt sein, dass hinreichend zwischen Ladung und Personen unterschieden werden kann.

Vorteilhaft ist z. B., die Paletten- oder Produktposition sowie das Laufsignal der Fördereinrichtung auszuwerten. Analog zum Muting gilt auch hier eine Begrenzung der Durchlaufzeit. Wird diese Zeit überschritten, müssen die Gefahr bringenden Bewegungen sicher angehalten werden. Die Maschine darf dann nur durch einen bewussten Befehl wieder anlaufen. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass die mechanischen Schutzeinrichtungen mit der Fördereinrichtung oder angrenzenden Schutzeinrichtungen keine neuen Gefahrstellen bilden.

Alle mechanischen Systeme können auch mit Zuhaltungen versehen werden. Das ist besonders wichtig, wenn Maschinen vor dem Zutritt eine definierte Position einnehmen oder einen Takt zu Ende fahren sollen. Zu empfehlen ist, dass rund um eine Maschine möglichst gleichartige (trennende) Schutzeinrichtungen verwendet werden. Werden nämlich zugehaltene Zugangstür und berührungslos wirkende Schutzeinrichtung kombiniert, dann ist der (unerwünschte) Zugang über die Lichtschranke für den Bediener gegebenenfalls einfacher. Das kann zu undefinierten Maschinenzuständen und in der Folge auch zu Unfällen führen.

AUS EINEM GUSS
Übergreifende Norm mit Spezialnormen
Das Konzept einer übergreifenden Norm und einer Reihe ergänzender maschinenspezifischer Normen wird in der Praxis äußerst positiv aufgenommen. Es garantiert einheitliche Formulierungen und Anforderungen für den gleichen Sachverhalt. Die übergreifende EN 415-10 enthält die gemeinsamen Anforderungen. Die maschinenspezifischen Normen enthalten lediglich Abweichungen oder zusätzliche Anforderungen. Bei aller Vereinheitlichung bleibt genügend Raum für individuelle Lösungen.
Autor: Thomas Gangkofner