Vorsorge neu ausgerichtet

Seit Ende 2013 mit neuer Schwerpunktsetzung: Die arbeitsmedizinische Vorsorge im Betrieb

Die novellierte Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) richtet die betriebliche arbeitsmedizinische Vorsorge neu aus. Gestärkt wird ausdrücklich die informationelle Selbstbestimmung der Arbeitnehmer: Über gesundheitsbezogene persönliche Daten bestimmen ausschließlich die betroffenen Beschäftigten. Die ärztliche Vorsorgebescheinigung an den Arbeitgeber enthält zukünftig keine Angaben mehr über mögliche gesundheitliche Bedenken.

von Dr. Roger Kühn | Akzente 02/14

Arbeitsmedizinische Vorsorge hat das Ziel, arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Sie soll durch den Betriebsarzt während der Arbeitszeit durchgeführt werden. Die Kosten trägt der Arbeitgeber. Die Gefährdungsbeurteilung ist Grundlage für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge.

[ Dr. med. Roger Kühn ist Facharzt für Arbeitsmedizin und Facharzt für Allgemeinmedizin und ist Mitarbeiter des BGN-Gesundheitsschutzes. ]

Die neue ArbMedVV spricht von arbeitsmedizinischer Vorsorge und nicht mehr von Vorsorgeuntersuchungen. Sie will damit die Bedeutung von individueller Aufklärung und persönlicher ärztlicher Beratung der Beschäftigten betonen.

ARBEITSMEDIZINISCHE VORSORGE UMFASST
  • ärztliches Beratungsgespräch mit Anamnese inkl. Arbeitsanamnese und individueller Aufklärung
  • erforderliche körperliche und klinische Untersuchungen
  • ggf. Biomonitoring (z. B. im Blut oder Urin)
  • ggf. Impfangebot (bei tätigkeitsbedingt erhöhtem Infektionsrisiko)

Pflichtvorsorge muss bei bestimmten, besonders gefährdenden Tätigkeiten veranlasst werden. Der Arbeitgeber darf eine Tätigkeit nur ausüben lassen, wenn der Beschäftigte an der Pflichtvorsorge teilgenommen hat.

Angebotsvorsorge muss bei bestimmten, gefährdenden Tätigkeiten vor deren Aufnahme in persönlicher und schriftlicher Form angeboten werden. Das Angebot muss regelmäßig wiederholt werden.

Wunschvorsorge hat der Arbeitgeber den Beschäftigten auf ihren Wunsch zu ermöglichen, wenn ein arbeitsbedingter Gesundheitsschaden nicht auszuschließen ist.

Bei den Vorsorgeanlässen (bisher: Untersuchungsanlässe) für Pflicht- und Angebotsvorsorge, die im Anhang der ArbMedVV aufgelistet sind, gibt es einige Veränderungen.

Schutz der persönlichen Daten
Die sogenannte informationelle Selbstbestimmung bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge wird mit der neuen ArbMedVV konsequent festgeschrieben. Das bedeutet hier: Der Arbeitgeber erhält über den Beschäftigten ohne dessen Einwilligung keine gesundheitsbezogenen Ergebnisse mehr.

Folglich darf die ärztliche Vorsorgebescheinigung für den Arbeitgeber keine Informationen mehr über mögliche gesundheitliche Bedenken enthalten. Auch die Mitteilung über einen erforderlichen Tätigkeitswechsel aus gesundheitlichen Gründen bedarf der ausdrücklichen Einwilligung des Beschäftigten.

BEISPIELE FÜR VORSORGEANLÄSSE IM ANHANG DER ARBMEDVV
für Pflichtvorsorge (P) und Angebotsvorsorge (A)
Tätigkeiten mit Gefahrstoffen P bzw. A (siehe dazu Liste im Anhang der ArbMedVV, Teil 1)
Feuchtarbeit P bei regelmäßig ≥4 h/Tag
A bei regelmäßig >2 h/Tag
Getreide- und Futtermittelstäube P > 4 mg/m3 E-Staub
A > 1 mg/m3 E-Staub
Mehlstaub P > 4 mg/m3
A ≤ 4 mg/m3
sonstige sensibilisierend wirkende Stoffe A
Kläranlagen P (Hepatitis A)
Geflügelschlachtung P (Chlamydophila psittaci)
extreme Kältebelastung P(≤ — 25 Grad Celsius)
Lärm (Lex,8h/LpC,peak) P(> 85 dB(A)/137 dB(C)) A(> 80 dB(A)/135 dB(C))
Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten Belastungen des Muskel-Skelett-Systems A (siehe dazu Anhang der ArbMedVV, Teil 3 (2) Nr. 4)
Atemschutzgeräte P Gruppe 2 und 3
A Gruppe 1
Bildschirmarbeit A

[ Die informationelle Selbstbestimmung des Beschäfigten ermöglicht eine vertrauensvolle ärztliche Beratung. ]

[ Ausführlicher Artikel „Vorsorge anpassen“ www.bgn.de, Shortlink = 1399 ]

Damit schafft der Gesetzgeber einen vom Beschäftigten bestimmten informationellen „Schutzraum“, der eine vertrauensvolle ärztliche Beratung und eine individuelle Aufklärung ermöglicht.

Wie aber geht der Betriebsarzt vor, wenn er feststellt, dass die Arbeitsschutzmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten nicht ausreichen? Dies muss er dem Arbeitgeber natürlich mitteilen und ihm geeignete Schutzmaßnahmen vorschlagen. Die Preisgabe von persönlichen medizinischen Informationen ist hierfür nicht erforderlich.

STECKBRIEF: VERORDNUNG ZUR ARBEITSMEDIZINISCHEN VORSORGE
Ziel Verhütung und Früherkennung von Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Erkrankungen
dient der individuellen ärztlichen Beratung der Beschäftigten
regelt die arbeitsmedizinische Vorsorge
regelt im Anhang die Vorsorgeanlässe für Pflicht- und Angebotsvorsorge
regelt nicht Eignungsuntersuchungen
wichtige Neuerungen mit Stärkung der informationellen Selbstbestimmung der Beschäftigten:
  • die ärztliche Vorsorgebescheinigung für den Arbeitgeber enthält keine Angaben mehr zur Eignung bzw. zu gesundheitlichen Bedenken
  • die Vorsorgedatei des Arbeitgebers enthält nur noch Angaben zum Zeitpunkt sowie zum Vorsorgeanlass und kann elektronisch geführt werden
  • die Mitteilung an den Arbeitgeber über einen erforderlichen Tätigkeitswechsel bedarf der Einwilligung des Beschäftigten
Arbeitsmedizinische Regeln (AMR) geben dem Arbeitgeber konkrete Handlungshilfen zu verschiedenen Themen der ArbMedVV. Beispiele für bisher veröffentlichte AMR:

[ ArbMedVV vom 31.10.2013: www.bgn.de, Shortlink = 732

Arbeitsmedizinische Regeln sind konkrete Handlungshilfen: www.bgn.de, Shortlink = 1331 ]

Eignungsuntersuchungen
Wie geht der Unternehmer vor, wenn er aufgrund seiner Fürsorgepflicht bei Tätigkeiten mit erhöhter Fremd- oder Eigengefährdung (z. B. bei Staplerfahrern oder bei Absturzgefährdung) die Feststellung der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen benötigt? Er wird in diesen Fällen Eignungsuntersuchungen veranlassen. Im Gegensatz zur arbeitsmedizinischen Vorsorge wird die ärztliche Bescheinigung von Eignungsuntersuchungen weiterhin Aussagen zu gesundheitlichen Bedenken enthalten.

Eignungsuntersuchungen können für die Betriebssicherheit und den Arbeitsschutz sinnvoll und wichtig sein, gehören aber nicht zur arbeitsmedizinischen Vorsorge im Sinne der ArbMedVV. Manche Betriebe haben zu Eignungsuntersuchungen Betriebsvereinbarungen oder arbeitsvertragliche Regelungen getroffen. Einige Eignungsuntersuchungen sind durch andere Rechtsvorschriften (z. B. Fahrerlaubnis-Verordnung) vorgeschrieben.

Ende der Doppelfunktion
Vor 2008 vereinigten die damaligen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen Eignungsuntersuchung für den Arbeitgeber und arbeitsmedizinische Beratung des Beschäftigten in einer Doppelfunktion. Bereits mit der alten ArbMedVV forderte der Gesetzgeber die transparente Unterscheidung von arbeitsmedizinischer Vorsorge und Eignungsuntersuchungen. Diese Trennung wurde mit der neuen ArbMedVV auch bei der Pflichtuntersuchung vollständig vollzogen: Arbeitsmedizinische Vorsorge dient vorrangig der Beratung der Beschäftigten, die jetzt vollständig über die eigenen, persönlichen Gesundheitsdaten bestimmen.

Autor: Dr. Roger Kühn