Wie viel Strom der Mensch verträgt
Elektrischer Strom bewegt sich weitgehend unsicht bar und unbemerkt durch unseren Alltag. Seine Gefahren werden häufig unterschätzt und der Umgang mit defekten Schaltern und Leitungen wird mitunter risikofreudig gepflegt. Ob man bei einem Stromschlag mit harmlosem Kribbeln davonkommt oder ein Herzstillstand droht, ist von mehreren Faktoren abhängig.
von Werner Fisi | aus Akzente 12
Normalerweise sind Maschinen, Elektrogeräte und spannungsführende Teile so gesichert, dass der menschliche Körper nicht direkt mit dem Strom oder der Spannung in Kontakt kommt. Für den Menschen droht keine Gefahr, solange er nicht Teil des Stromkreises wird. Das kann immer dann sein, wenn Isolierungen beschädigt sind oder leichtsinnig mit der Elektrik umgegangen wird, wie z. B. bei offenen Schaltschränken, beschädigten Anschlussleitungen oder defekten Steckdosen. Beim Berühren von spannungsführenden Teilen fließt der Strom von der Hand durch den Körper zur Erde. Das ist ein Stromschlag.
Kribbeln, Krampfen, Flimmern
Ob ein Stromschlag tödlich endet, hängt davon ab,
wie lange, auf welchem Weg und mit welcher Stärke
der menschliche Organismus durchflossen wird.
Liegt das Herz in der Strombahn, stehen die Chancen
fürs Überleben schlecht. Lebensbedrohliche
Störungen des Herzrhythmus setzen bei Durchflussstärken
von ca. 80 Milliampere ein. Beim sogenannten
Herzkammerflimmern geht die periodische
Tätigkeit des Herzens in eine völlig regellose
über. Das Herz hört auf, Blut zu pumpen. Das führt
zu einem Sauerstoffmangel im Gehirn und dies
wiederum innerhalb weniger Minuten zum Tod.
Nur wenn es gelingt, den Stromfluss vor Ablauf
einer Herzperiode (ca. 0,8 Sekunden) zu unterbrechen,
können auch große Stromstärken ohne gefährliche
Schädigungen verkraftet werden. Die besonders
kritische Zeit (vulnerable Phase) innerhalb
eines Herzschlags dauert 0,15 s.
Ein leichter Stromschlag macht sich nur durch ein Kribbeln in den Fingerspitzen bemerkbar. Der Schreck, den man dabei bekommt, führt aber häufig zu einem Unfall. Beispielsweise dann, wenn jemand infolge des Stromschlages von einer Leiter fällt oder Gegenstände fallen lässt. Schon bei relativ geringen Stromstärken beginnen sich die Muskeln derart zu verkrampfen, dass ein umfasster Leiter nicht mehr losgelassen werden kann.
Unfallhelfer können nur durch Abschalten des Stroms oder unter Verwendung nicht leitender Materialien den Verunfallten vom umfassten Gegenstand lösen. Die Loslassschwelle liegt bei 15 bis 20 Milliampere. Ab 30 Milliampere ist auch die Atemmuskulatur betroffen. Es drohen Atemnot und schließlich Atemstillstand.
Eingebaute Sicherheit
Schutzmaßnahmen wie Isolierungen verhindern
das direkte Berühren von unter Spannung stehenden
Teilen. Isolierungen umhüllen Leitungen oder Geräte vollständig und können nur durch Zerstören
entfernt werden. Dass diese nicht zerstört werden,
muss laufend geprüft werden, insbesondere an flexiblen
Leitungen. Schutzkleinspannung wird z. B.
an Silo-Leuchten oder Rufanlagen angewandt.
Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen, bekannt als
FI-Schutzschalter (RCDs), bieten einen zusätzlichen
Schutz, insbesondere in Feuchträumen. RCDs schalten in der Regel bei Fehlerströmen, z. B. durch
das Berühren eines fehlerhaften Geräts, von maximal
30 mA die Anlage in weniger als 40 ms ab. Bei
Versagen des Basisschutzes (Isolierung etc.) muss
verhindert werden, dass gefährliche Berührungsspannungen
auftreten. Dies wird in der Regel durch
Überstromschutzeinrichtungen (Sicherungen) erreicht.
Wenn bei einem Körperschluss z. B. durch fehlerhafte Isolierungen Spannung an das Gehäuse eines Geräts gelangt, soll der am Gehäuse des Geräts befestigte Schutzleiter bewirken, dass die Sicherung abschaltet. Der Schutzleiter muss dazu richtig geerdet sein und ist laufend von einer Elektrofachkraft auf seine Wirksamkeit zu prüfen.
DAMIT DER STROM KEINE FALSCHEN WEGE GEHT |
Alle Arbeiten und Reparaturen an elektrischen Geräten oder Anlagenteilen (Leitungen, Steckdosen, Schalter) nur von einer Elektrofachkraft durchführen lassen. Nie improvisieren. Ausnahme: Eine elektrotechnisch unterwiesene Person* darf bestimmte wiederkehrende Arbeiten wie Prüf- oder Messtätigkeiten an unter Spannung stehenden Teilen oder Auswechseln von NH-Sicherungen, die nicht gegen direktes Berühren geschützt sind, unter Leitung und Aufsicht einer Elektrofachkraft durch führen.
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[ * Ein Mitarbeiter gilt als elektrotechnisch unterwiesen, wenn er von einer Elektrofachkraft über die ihm übertragenen Aufgaben und die möglichen Gefahren bei unsachgemäßem Verhalten unterrichtet und angelernt wurde. Außerdem muss er über die notwendigen Schutzmaßnahmen unterwiesen worden sein. ]
DER WEG DES GERINGSTEN WIDERSTANDES |
Elektrischer Strom sucht sich immer den Weg des geringsten Widerstandes. Faktoren wie Bodenbelag, Kleidung oder Schuhwerk und die Feuchtigkeit an der Einund Austrittsstelle beeinflussen den Widerstand des menschlichen Körpers. Nackte Füße auf feuchtem Boden bieten denkbar schlechte Voraussetzungen, um einem tödlichen Stromschlag zu entgehen. Üblicherweise wird für den Körperwiderstand ein gemittelter Wert benutzt. Man rechnet mit 1.000 Ohm bei einem Stromdurchfluss von Hand zu Hand oder von Hand zu Fuß. Die Stärke eines Stromschlags ergibt sich nach dem ohmschen Gesetz durch die Berührungsspannung und den Widerstand. Für eine Berührungsspannung von 230 Volt (mit der die meisten Elektrogeräte arbeiten) und einen Körperwiderstand von 1.000 Ohm ergibt sich eine Durchflussstärke von 230 Milliampere. Schon ein Stromschlag dieser Stärke kann tödlich enden. |