Der Notfallschrank bei Unilever in Heilbronn enthält alles, was in Notfällen Handlungssicherheit gewährleistet
von Anja Wolf | aus Akzente
Wenn im Werk das Signal zur Evakuierung ertönt, müssen die hierfür Verantwortlichen alle notwendigen Schritte schnell und souverän in die Wege leiten. Eine Aufgabe mit großer Verantwortung. Eine Aufgabe für starke Nerven. Denn jetzt ist absolute Handlungssicherheit gefragt. Doch wie kann man diese im Notfall, wenn alle Verantwortlichen unter Stress stehen, sicherstellen? Die Sicherheitsabteilung im Unilever-Werk Heilbronn hatte eine einfache wie gute Idee: den Notfallschrank. Das Unternehmen erhielt dafür den Präventionspreis 2008 der BGN.
Ausnahmezustand im Unilever- Werk Heilbronn. Ein Notruf wurde abgesetzt. Alle Führungskräfte im Werk sind per SMS alarmiert. Thomas Klauss, Fachkraft für Arbeitssicherheit, erreicht die Sammelstelle für Führungskräfte als Erster. Aus der Zentrale erfährt er: Rauchentwicklung in der Suppenfabrik. Das Gebäude muss evakuiert werden. Thomas Klauss schließt den Notfallschrank auf und zieht eine gelbe Warnweste über den Werkskittel. Auf seinem Rücken steht jetzt: Einsatzleiter. Er greift sich die gelben Karten für das betroffene Gebäude aus dem Schrank. Inzwischen sind auch seine Kollegen eingetroffen. Thomas Klauss händigt jedem der Helfer eine Warnweste, ein Sprechfunkgerät und eine Aufgabenkarte aus. Darauf sind Ablauf und Aufgabenverteilung klar vorgegeben. Somit weiß jeder einzelne Helfer, was er in welcher Reihenfolge tun muss. Denn alle notwendigen Schritte stehen auf seiner Karte. Das gibt Sicherheit. Vor drei Jahren war das noch anders.
Mängel aufdecken
Schon damals gab es die Regelung,
dass der Verantwortliche, der zuerst
an der Sammelstelle eintrifft,
die Einsatzleitung übernimmt. Er
ist zuständig für die Aufgabenverteilung
und für den gesamten Ablauf
der Evakuierung. Klaus Schenk,
Managementbeauftragter für den
Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz,
erzählt: "Niemand
wollte bei einer Übung als Erster an
der Sammelstelle für Führungskräfte
eintreffen. Wir fragten uns
natürlich, warum ist das so, und
fanden heraus: Die Führungskräfte
wussten nicht, wie sie sich verhalten
sollten. Wir fanden aber noch weitere Defizite bei den Evakuierungsübungen
heraus." Ein weiterer
Schwachpunkt war: Die Termine
der Evakuierungsübungen waren
bekannt. Und so haben sich die Mitarbeiter
schon vorher in der Kantine
versammelt. Nicht wenige empfanden
die Übung als lästige Störung.
Man stellte die Ernsthaftigkeit
solcher Übungen in Frage. Es
war an der Zeit, das bisherige Prozedere
grundsätzlich zu hinterfragen
und zu verbessern.
Fragen stellen
Das Sicherheitsteam setzte sich zusammen
und analysierte systematisch
die Bedingungen im Werk.
Welche Notfälle können eintreten?
Welche Maßnahmen müssen in welchem
Fall getroffen werden? Welche
Besonderheiten sind in den verschiedenen
Werksteilen zu berücksichtigen?
Welche Schritte müssen in welcher
Reihenfolge erfolgen?
Die Ergebnisse fassten sie unter anderem in einem Notfall-Handbuch zusammen. Es enthält Anleitungen für verschiedene Kategorien von Notfällen und Störungen wie z. B. Gasaustritt, Brandentwicklung, schweres Unwetter. Im Handbuch ist auch geregelt, wann eine Evakuierung notwendig ist. Für den Ablauf jeder Evakuierung formulierte das Team konkrete Handlungsanweisungen. Sie sind im Notfallschrank als Aufgabenkarten hinterlegt.
Antworten geben
Das Konzept des Notfallschranks
ist einfach und effektiv. Für jedes
Werksgebäude steht ein Set von
Aufgabenkarten zur Verfügung. Die
Aufgaben sind knapp und deutlich
formuliert. Alle Maßnahmen, die für den Ablauf der Evakuierung
notwendig sind, werden Schritt für
Schritt beschrieben. Kuno Wörner,
Brand- und Explosionsschutzbeauftragter
im Werk Heilbronn, erläutert:
"Wir haben festgestellt, dass
Menschen solche Orientierungshilfen
brauchen. Insbesondere wenn
Stress und Hektik
im Spiel sind. Auf den Karten können sie sofort
erfassen, was zu tun ist und wer
das Sagen hat." Für die reibungslose
Kommunikation auf dem Werksgelände
wird jeder Einsatzhelfer
mit einem Funkgerät ausgestattet,
bei Bedarf zusätzlich mit einer
Lampe. Hierarchien sind im Notfall
nachrangig. Es gilt die Vorgabe:
Jeder sollte die Notfallmaßnahmen
beherrschen. Abends sind kaum
noch Führungskräfte im Werk.
Auch dann muss sichergestellt sein,
dass eine Evakuierung schnell und
koordiniert abläuft.
Die Vordenker des Notfallschranks (von links nach rechts): Thomas Klauss, Kuno Wörner, Klaus Schenk
Ergebnisse überprüfen
Das Konzept des Notfallschranks
ist aufgegangen. Kein Einsatzhelfer
scheut sich mehr, der Erste an dieser
Sammelstelle zu sein oder etwas
falsch zu machen. Die Evakuierungen
funktionieren. Dennoch ist
jeder Einsatz aufs Neue daraufhin
zu überprüfen, was man noch besser
machen kann. So wird manche
Maßnahme noch präziser formuliert
und festgestellte Besonderheiten
werden ergänzt. Externe Fachleute, z. B. Vertreter der Feuerwehr,
kommen zu den Evakuierungsübungen
dazu und bereichern die firmeneigenen Erfahrungen und
Erkenntnisse.
Das alles hat dazu geführt, dass die Proben für den Ernstfall heute ernst genommen werden. Bei den Mitarbeitern hat ein Umdenken stattgefunden. Sie sind für das Thema sensibilisiert und murren bei Evakuierungsübungen nicht mehr. Sie haben verstanden, dass es um ihre Sicherheit geht.
Wenn heute bei Thomas Klauss eine firmeninterne Notfallmeldung auf dem Handy eingeht, weiß er zunächst nicht, ob es sich um einen Notfall oder um eine Übung handelt. Er erklärt: "Das weiß nur der Chef. Wir haben das so vereinbart. Einmal im Jahr drückt er auf den Knopf." Und seitdem lief jede Übung wie geschmiert. Das gibt Sicherheit für den Ernstfall.
Der Unilever-Notfallschrank |
Er enthält:
Der Schrank ist verschlossen. Der Schlüssel befindet sich in einem zentralen Schlüsselkasten. Der Inhalt des Notfallschranks wird regelmäßig kontrolliert. |
Die BGN honorierte die Idee des Notfallschranks als zentrales Instrument vorbildlicher Notfallorganisation mit dem Präventionspreis 2008 in der Kategorie "Organisation und Motivation".