von Dr. Michael Geiler
aus Akzente
Studien zeigen, dass das Risiko für Fußgänger und Radfahrer,
in einen Unfall verwickelt zu werden, nachts zwei- bis dreimal
so hoch ist wie tagsüber. Mitverantwortlich für dieses erhöhte
Risiko sind die verminderten Sichtverhältnisse für Autofahrer
im Dunkeln. Retroreflektierende Materialien machen Fußgänger
und Radfahrer
besser
sichtbar.
Bei Dunkelheit sind nicht zuletzt
auch für Autofahrer die Wahrnehmungsmöglichkeiten
sehr stark
eingeschränkt. Etwa 90 % der Fahrer,
die an Nachtunfällen mit Fußgängern
beteiligt waren, gaben an,
den Fußgänger zu spät gesehen zu
haben. Bei Tagunfällen waren es
19 %. Der Autofahrer ist, was seine
Sichtbedingungen im Dunkeln angeht,
dem Fußgänger gegenüber
eindeutig im Nachteil. Der Fußgänger
kann ein herannahendes Fahrzeug
an den Scheinwerfern aus einer
wesentlich größeren Distanz
erkennen als umgekehrt der Autofahrer
den Fußgänger. Viele Fußgänger
und auch Radfahrer scheinen
sich der Gefahr, im Dunkeln
nicht gesehen zu werden, nicht bewusst
zu sein. Sie machen sich
nicht klar, dass der Autofahrer sie
erst aus relativ kurzer Entfernung
wahrnehmen kann. Weil sie das herannahende
Fahrzeug aufgrund der
Scheinwerfer die ganze Zeit über deutlich sehen, scheinen sie zu unterstellen,
dass auch sie gesehen
werden.
Seit geraumer Zeit wird gefordert,
dass Fußgänger mehr Verantwortung
für ihre eigene Sicherheit
übernehmen, indem sie sich
mit retroreflektierenden Materialien*
oder Leuchten sichtbarer machen.
Gelegentlich werden auch
gesetzliche Verpflichtungen und
rechtliche Maßnahmen diskutiert,
z. B. Übertragung einer Teilschuld
bei einem Unfall.
Von weitem sichtbare
Fußgänger
Kleidung in hellen, kräftigen Farben
am Tag und retroreflektierende
Materialien, Lampen und blinkende
Lichter im Dunkeln vergrößern
deutlich die Entfernung, aus der
Fußgänger erkennbar sind. Mehreren
Studien zufolge erhöht sich diese
Distanz bei retroreflektierendem Material gegenüber schwarzer Kleidung
um 100 bis 1.200 %. Die Schweizerische
Beratungsstelle für Unfallverhütung
gibt an: Ein dunkel
gekleideter Fußgänger ist im Abblendlicht
eines Autos aus ca. 25 m
Entfernung sichtbar, bei heller Kleidung
aus etwa 40 m und mit retroreflektierendem
Material aus 140 m.
Am besten wirkt das Material,
wenn es in so genannter Biomotion-Konfiguration
angebracht ist, d. h.
an den Körperteilen, die in Bewegung
sind: Beine, Füße und Arme.
So ist die menschliche Bewegung
leichter erkennbar. Verwendet werden
können Sohlenblitze, Reflektorbänder
mit Klettverschluss, Reflektoranhänger
und Blinkreflektoren,
Reflektorstreifen zum Aufkleben/
Aufnähen oder reflektierende Folien
zum Zuschneiden. Sie sollten
gleichmäßig rund um den gesamten
Körper verteilt werden, damit
die 360-Grad-Sichtbarkeit
gewährleistet
ist.
Aktuell (2017) wird die Bedeutung der Biomotion-Reflektoren stark unterstrichen. Bei einer Studie an einer schwedischen Universität war die Wahrnehmung von Radfahrern mit Biomotion-Konfiguration wesentlich besser als diejenige beim bloßen Tragen einer Warnweste mit Reflektorstreifen. In dieser Studie war die Wahrnehmung der nur mit Warnwesten bekleideten Radfahrer nicht besser als die von Radfahrern ohne jegliche reflektierende Bekleidung.
(Paul. E. Hemeren, Mikael Johannesson, Mikael Lebram and Fredrik Eriksson: Detecting Cyclists at Night: visibility effects of reflector placement and different lighting conditions School of Informatics, University of Skövde, Box 408, 541 28, Sweden; Vortrag auf der 6th Annual International Cycling Safety Conference, 21-22 September 2017, Davis, California, USA)
Was Radfahrer sichtbar macht
Auch Radfahrer können ihre Sichtbarkeit
verbessern. Zu empfehlen
sind Systeme mit Standlichtfunktion,
Halogenscheinwerfer, Leuchtdiodenrücklicht
und Speichen- oder
Nabendynamos, die anders als herkömmliche
Dynamos bei Nässe
nicht am Reifen durchrutschen
können und außerdem keinen Widerstand
erzeugen. Es werden auch
reflektierende Speichenclips angeboten,
die nach Herstellerangaben
das Rad aus bis 160 m Entfernung
sichtbar machen. Die herkömmlichen
gelben Katzenaugen sind nur
aus maximal 80 m Distanz zu
sehen. Ferner tragen mit reflektierendem
Material ausgestattete Fahrradhelme,
Armbinden und Handschuhe
zur besseren Erkennbarkeit
des Radfahrers bei.
In der Schweiz durchgeführte
Abschätzungen des Präventionspotenzials
solcher Produkte für Radfahrer und Fußgänger ergaben
einen Wirkungsgrad von 50 %. Das
bedeutet: 50 % der nachts verletzten
bzw. getöteten Fußgänger und Radfahrer
wären nicht zu Schaden gekommen,
wäre ihre Sichtbarkeit
durch retroreflektierende Materialien
oder blinkendes Licht optimiert
gewesen. Es gibt nicht viele Verkehrssicherheitsmaßnahmen
mit
derartig hohem Sicherheitspotenzial.
Ein Thema im Betrieb
Aus diesem Grund sollten die Betriebe
das Thema »Sicherheit durch
Sichtbarkeit« in ihre Sicherheitsarbeit
einbeziehen. Sie können z. B.
einen Artikel wie diesen im Betrieb
aushängen, ins Intranet einstellen,
in der Firmenzeitung abdrucken
oder in der Kantine auslegen. Das
Thema kann auch in einem betrieblichen
Preisausschreiben aufgegriffen
werden. Retroreflektierende
Materialien für Fußgänger (auch
Jogger) und Radfahrer bieten sich
als Preise und Give-aways
für die Mitarbeiter an. Denkbar sind z. B.
auch Gutscheine für die lichttechnische Verbesserung des Fahrrads
durch den Fahrradhandel.
Eindrucksvoll sind praktische
Demonstrationen. Z. B. können Mitarbeiter
vom Fahrersitz eines stehenden
Pkw oder Lkw aus die Entfernung
ermitteln, aus der sie Personen
mit bzw. ohne reflektierende
Materialien erkennen. Oder: Sie
vergleichen die Sichtbarkeit unterschiedlich
ausgerüsteter Fahrräder.
In Zusammenarbeit mit z. B. der
Polizei und technischen Überwachungsorganisationen
können (licht)technische Überprüfungen
von Fahrrädern und Kraftfahrzeugen
angeboten werden. Auch die
Überprüfung von Sehfunktionen
(einschließlich des Dämmerungssehens
mit und ohne Blendung)
kann Bestandteil betrieblicher (Verkehrs-)
Sicherheitsarbeit sein. Dass
Mitarbeiter, die im Auftrag der Firma
mit Kraftfahrzeugen unterwegs
sind, mit Warnwesten ausgestattet
sein müssen, versteht sich von
selbst.