Wenn der Gabelstapler kippt, kann das Fahrerrückhaltesystem lebensrettend
sein
von von Ulrike Heinzelmann und Günter Welzig | aus Akzente
Im Normalbetrieb sind für die Fahrer die Gefährdungen durch einen
umkippenden Stapler nicht ersichtlich und Unfälle kommen selten vor. Wenn sie aber vorkommen, haben
sie schwerwiegende Folgen. Deshalb müssen Gabelstapler seit Jahren so ausgerüstet sein, dass
Gefährdungen des Fahrers verhindert werden, wenn der Stapler kippt.
Bei der Arbeit mit dem Stapler wirkt nicht nur die Last auf den Stapler. Durch bestimmte
Fahrweisen oder Lastverhältnisse entstehen auch Seitenkräfte. Was sind Seitenkräfte und wie genau
entstehen sie? Fahrzeuge sind bestrebt, sich immer auf einer Geraden zu bewegen. Werden sie in
Kurven gelenkt, dann wirken Kräfte zur Seite, um wieder den Ursprungszustand zu erreichen. Man
spricht von Fliehkräften. Je schneller man in eine Kurve fährt, desto höher sind die Fliehkräfte.
Verdoppelt sich die Geschwindigkeit, erhöht sich die Fliehkraft um das Vierfache. Fliehkräfte sind
nicht sichtbar, weshalb die Fahrer sie oft unterschätzen. Fliehkräfte sind deshalb auch die
häufigste Ursache für das Kippen des Gabelstaplers.
Seitenkräfte können auch durch Lastschwerpunkte außerhalb der Achsenmitte auftreten. Das ist der
Fall, wenn die eine Gabel mehr Last aufnehmen muss als die andere. Beispiele sind eine nicht mittig
angehobene Last, der Transport von Maschinen, Kurvenfahrten mit Behältern für Schüttgüter und
Flüssigkeiten sowie eine sich während der Fahrt loslösende Last. Bei einer Fahrt mit angehobener
Last verstärkt sich der Effekt nochmals, weil sich das auftretende Drehmoment aufgrund des
verlängerten Hebelarms vergrößert. Ein weiteres Problem stellt das Fahren auf einer schiefen Ebene
dar, z.?B. auf Rampen oder Brücken. Wird hier nicht - wie vorgeschrieben - die Last bergseitig
geführt oder mit dem Stapler längs der Rampe gefahren, ist die Kippgefahr um ein Vielfaches höher
als auf der normalen Ebene. Auf einem unebenen Boden kann ein Fußgänger ins Stolpern, ein Stapler
kann ins Wanken geraten. Fehlende Pflastersteine, Spurrillen, Dehnfugen im Asphalt und Ähnliches
sind gefährliche unebene Stellen, bei deren Überfahren mit dem Stapler es zu
Schwerpunktverlagerungen und somit zu einem instabilen Verhalten des Staplers kommen kann.
Ein Schwerverletzter in einem Getränkelager |
Kurz vor Feierabend wollte ein Staplerfahrer eines Getränkelagers nur rasch nachsehen, ob noch ein
Lkw zum Entladen auf den Hof fährt. Dazu wollte er mit dem Gabelstapler aus der Halle auf den Hof
fahren, nachsehen und wenden, um dann wieder in die Halle zurückzukehren. Der Mitarbeiter kam mit hoher Geschwindigkeit aus der Halle und versuchte, den Gabelstapler bei voller Fahrt zu wenden. Dabei kippte der Stapler um und blieb auf der Seite liegen. Der Fahrer trug eine schwere Wirbelsäulenverletzung und Schürfwunden davon, obwohl er durch eine geschlossene Kabine gesichert war. Ohne die Fahrerkabine wäre der Verletzte vielleicht sogar aus dem Stapler geschleudert worden und hätte dabei schwere oder tödliche Quetschverletzungen erlitten. |
Unfallursache Zu hohe Geschwindigkeit, insbesondere bei der Kurvenfahrt, führte zum Umkippen des Gabelstaplers. Der unbeladene Stapler hatte in diesem Fall den Unfall offensichtlich noch begünstigt, da er im unbeladenen Zustand leichter kippt. |
Seit Inkrafttreten der Betriebssicherheitsverordnung sind Schutzsysteme vorgeschrieben, die Verletzungen der Fahrer durch kippende Fahrzeuge begrenzen/verhindern sollen. Das können sein:
Die Unfallverhütungsvorschriften verpflichten weiterhin den Betreiber, die vom Hersteller vorgesehenen Fahrerrückhalteeinrichtungen zu benutzen. Konkret bedeutet das z.B., dass
In der betrieblichen Praxis werden meist Gabelstapler eingesetzt, deren Fahrerrückhalteeinrichtung beim Fahren nicht zwangsweise wirkt, sondern die der Fahrer willentlich benutzen muss: der Sicherheitsgurt. Mit dieser kostengünstigen Lösung ist die überwiegende Zahl der Gabelstapler ausgestattet. Häufiges Problem: Der Sicherheitsgurt wird nicht angelegt bzw. er kann manipuliert werden. Fahrzeuge mit Fahrerkabine oder Bügeltürsystemen sind dagegen nur in geringer Zahl im Einsatz. Die Akzeptanz des Sicherheitsgurtes ist trotz Betriebsanweisung, Schulung und Unterweisung der Mitarbeiter gering. Die Fahrer empfinden das Anlegen des Sicherheitsgurtes oft als lästig, besonders wenn sie aufgrund des betrieblichen Ablaufs das Fahrzeug häufig verlassen müssen, wie z.B. bei Kommissioniertätigkeiten. Die Vorgesetzten kontrollieren das Anlegen des Sicherheitsgurtes immer wieder nachlässig und oft dulden sie sogar das Fehlverhalten der Fahrer. Die rechtliche Situation ist hier allerdings eindeutig: Vorgesetzte und Führungskräfte können bei Unfällen durch mangelndes Kontrollverhalten und Duldung sicherheitswidrigen Verhaltens im Einzelfall zur Verantwortung und Haftung herangezogen werden. Ein weiterer Schwachpunkt in der betrieblichen Praxis: Bei der Gefährdungsbeurteilung bleiben Sondertransporte meist unberücksichtigt. Doch gerade diese selten durchgeführten Transportarbeiten fordern dem Fahrer mehr ab als routinemäßige Fahraufträge.