Manipulationen von Schutzeinrichtungen

BGN befragte Sicherheitsfachkräfte
von Leonhard Blümcke | aus Akzente

Das hohe Risiko, das von manipulierten Schutzeinrichtungen an Maschinen ausgeht, scheinen viele Betriebe in Kauf zu nehmen. Denn vielerorts gehören solche Manipulationen zum betrieblichen Alltag. Das ergab eine Befragung der BGN-Prävention unter Sicherheitsfachkräften. Die BGN setzt sich bei Herstellern für technische Lösungen ein, die Manipulationen überflüssig machen.

Ein typischer Fall: Die Einrichtarbeiten an der Gebäck-Überziehmaschine sind sehr zeitaufwändig und umständlich. Denn jedesmal, wenn man eine Schutztür öffnet und wieder schließt, muss man die Maschine danach neu starten. Ohne Schutzeinrichtungen lässt sich die Maschine viel schneller einrichten. Deshalb fehlen sie auch schon seit geraumer Zeit an der Vorderseite der Maschine. Und passiert ist ja auch noch nie etwas. Damit die Maschine trotzdem läuft, wurde der Positionsschalter manipuliert.

Es kam dann doch, wie es kommen musste: Eine Mitarbeiterin hatte einen Unfall. Mit der Manipulation hatte sie nichts zu tun. Die Frau wollte einer Kollegin helfen, die damit beschäftigt war, die Maschine an der Rück­seite zu reinigen. Sie selbst entfernte an der Maschinenvorderseite Gebäckreste. Dazu griff sie in die stillstehende Maschine ein, die kurz darauf plötzlich unerwartet anlief. Die Kollegin an der Rückseite hatte sie wieder eingeschaltet. Die Manipulation machte das möglich. Die Frau hatte nicht bemerkt, dass ihre Kollegin an der Vorderseite in die Maschine hineingegriffen hatte. Die Folge: schwere Quetschungen an vier Fingern.

Drei Viertel der Betriebe manipulieren
Dass Schutzeinrichtungen an Maschinen häufig manipuliert werden, zeigt eine aktuelle Befragung der BGN-Prävention. Rund 500 Sicherheitsfachkräfte aus BGN-Mitgliedsbetrieben waren aufgefordert worden, ihre Mei­nung und Erfahrungen in einem Fragebogen im Internet mitzuteilen. Trotz des heiklen Themas füllten 51,7 Prozent den Fragenbogen aus. Das zeigt, dass das Thema für Betriebe und Sicherheitsfachkräfte sehr wichtig ist.

Auf die Frage »Haben Sie erlebt, dass in Ihrem Unternehmen Schutzeinrichtungen an Maschinen manipuliert wurden?« gaben fast drei Viertel (73,3%) der Sicherheitsfachkräfte an, dass in ihrem Betrieb manipuliert wird. Das zeigt: Manipulationen gehören zum betrieblichen Alltag. Auf die Frage, bei welchen Tätigkeiten manipuliert wird, nannten die Befragten am häufigsten die Störungsbeseitigung. Außerdem wird häufig manipuliert, um das Einrichten/Einstellen oder auch die Reinigung zu erleichtern.

Gründe für Manipulationen
Die Anworten weisen darauf hin, dass viele Maschinen nicht optimal konstruiert sind. Denn sie können mit dem vorhandenen Schutzsystem nicht bei allen Tätigkeiten in einer für den Betreiber akzeptablen Weise sicher betrieben werden. Dass vor allem für Maschinen-Eingriffe außerhalb des Normalbetriebs (kontinuierlicher Produktionsprozess ohne Eingriffe) eine Manipulation als notwendig angesehen wird, zeigten die besonderen Bedingungen in Nahrungsmittelbetrieben. Dort müssen immer wieder Teile in der Maschine gereinigt werden. Darauf muss das Schutzsystem der Maschine ausgelegt sein. Genau das aber ist häufig nicht der Fall. Das Schutzsystem ist nur auf den Normalbetrieb ausgelegt. Bei Tätigkeiten außerhalb des Normalbetriebs wie Einrichten oder Reinigen behindert das Schutzsystem das zügige Arbeiten. Die Manipulation ist vorprogrammiert. Für den Bediener geht es immer darum, die Maschine mit möglichst geringem Aufwand zu bedienen, um das Arbeitsziel zu erreichen. Viele Mitarbeiter stehen unter einem derartig großen Druck, dass sie manipulieren, um die Produktion so kurz wie möglich zu unterbrechen. Im Vordergrund steht, dass der Produktionsprozess möglichst effizient abläuft. In vielen Unternehmen werden Manipulationen geduldet.

Ob es dazu kommt oder nicht, hängt auch vom Führungsverhalten der Vorgesetzten ab. Den Befragungsergebnissen zufolge hat es großen Einfluss auf das Manipulationsgeschehen. Wesentliche Einflussfaktoren sind hier das Auftreten und Handeln der Führungskraft. Die Mitarbeiter registrieren es, wenn Führungskräfte ihre Vorbildfunktion im Arbeitsschutz ernst nehmen. Als besonders effektiv erweist sich, sicheres Arbeiten bei Mitarbeitergesprächen anzusprechen. Auch Mitarbeiterschulungen zu diesem Thema sind sinnvoll. Als besonders bedeutsam erwies sich auch, dass allen Mitarbeitern die disziplinarischen Konsequenzen sicherheitswidrigen Verhaltens klar sind.

TECHNISCHE MASSNAHMEN
zur Vermeidung von Manipulationen
(nach Lüken et al., TÜ Bd. 48, 2007, Nr. 4)
Stufe 1
Manipulationen vermeiden und unnötig machen
Stufe 2
Manipulationssichere Schutzeinrichtungen
Stufe 3
Manipulationen erkennen und sicheren Zustand einnehmen

Technische Lösungen
Die europäische Maschinenrichtlinie fordert, dass eine Maschine in allen Lebensphasen und Betriebsarten sicher betrieben werden können muss. Dazu aber muss die sichere Bedienbarkeit der Maschine frühzeitig berücksichtigt werden und integraler Bestandteil der Konstruktion sein. Meist wird die Maschine jedoch so konstruiert, dass sie die gewünschte Funktion und Leistung erbringt. Und erst anschließend wird versucht, die Sicherheit dazu zu bauen. Ein solches Schutzsystem behindert die Arbeit an der Maschine meist besonders stark. Eine optimal konstruierte Maschine dagegen zeichnet sich durch ein hohes Maß an Bedienbarkeit in allen Betriebsarten sowie ein geringes Maß an Behinderung des Produktionsprozesses aus. Das entspricht Stufe 1 der technischen Maßnahmen zur Vermeidung von Manipulationen. Eine Manipulation wird unnötig, weil sie dem Bediener keinen Vorteil verschafft. Für Sonderbetriebsarten wie Einrichten können Ersatzmaßnahmen notwendig sein, z. B. ein sicherer Tippbetrieb bei offenen Schutzeinrichtungen.

Ein intelligent konstruiertes Schutzsystem zur Vermeidung von Manipulationen zeigt nachfolgendes Beispiel. Die Ausgangssituation: Bei Tiefziehmaschinen werden die Gefahrstellen an der Arbeitsstation oft durch einen verkürzten Einlauftunnel mit Annäherungsfunktion in Kombination mit einer Lichtschranke gesichert. Die Lichtschranke soll einen Eingriff in den Einlauftunnel erkennen und die gefahrbringenden Bewegungen stoppen. Die Praxis zeigt aber, dass die Lichtschranke oft vom Produkt selbst, z. B. einem Salatblatt, unterbrochen wird. Der Bediener ist gezwungen, die Unterbrechung der Lichtschranke zu beseitigen und die Maschine neu zu starten. Häufige Produktionsunterbrechungen verleiten zur Manipulation der Lichtschranke. Der verkürzte Einlauftunnel ohne wirksame Lichtschranke bietet keine ausreichende Sicherheit mehr. Schwere Unfälle sind die Folge.

Die Lösung: Die Mitarbeiter der Prüf- und Zertifizierungsstelle bei der BGN nahmen sich dieses Problems an und fanden eine technische Lösung, die das Manipulationsrisiko beseitigt und dennoch eine ausreichende Sicherheit bietet. Die Lichtschranke ist dabei während des Vorschubs nicht aktiv, so dass ein Salatblatt in der Lichtschranke nicht zum Anhalten der Maschine führt. Sobald eine gefährliche Bewegung, z. B. der Hub des Arbeitswerkzeugs, einsetzt, ist die Lichtschranke wieder aktiv. Das Bedienpersonal ist während der gefährlichen Phase geschützt.

Manipulationssichere Schutzeinrichtungen
Sind klassische Schutzeinrichtungen technisch unvermeidbar, können sie manipulationssicherer gestaltet werden (Stufe-2-Maßnahmen). Das lässt sich z. B. mit verdeckt montierten und mit Einwegschrauben befestigten Schaltern und Betätigern erreichen.

Dass sich durch technische Innovation viel erreichen lässt, zeigen auch Maßnahmen der Stufe 3: Die Steuerung der Maschine erkennt, dass die Schutzeinrichtungen manipuliert wurden. Sie schaltet die Maschine ab oder lässt kein Starten zu. Muss produktionsbedingt in die Maschine eingegriffen werden, können Plausibilitätsprüfungen durchgeführt werden. Eine solche Prüfung ist beispielsweise in manchen Brotschneidemaschinen mit Sichel- oder Kreismesser realisiert. Die Steuerung prüft, ob nach Beendigung des Schneidevorgangs die Schutzhaube geöffnet wird, um die Brotscheiben zu entnehmen. Suggeriert ein manipulierter Schalter, dass die Schutzhaube dauerhaft geschlossen ist, lässt sich die Maschine nicht mehr starten.

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Alle Seminare finden im BGN-Ausbildungszentrum in Mannheim statt. Bei entsprechendem Bedarf sind auch Inhouse-Seminare mit betriebsspezifischem Zuschnitt möglich.

Manipulationssicherheit ist machbar
Wichtig ist, dass der Betreiber bei der Beschaffung einer neuen Maschine darauf achtet, dass die Maschine die Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllt, insbesondere in allen Betriebsarten sicher betrieben werden kann.

Die Maschinenhersteller müssen bei der Konstruktion stärker berücksichtigen, dass auch z. B. die Störungsbeseitigung und Reinigung ohne Manipulation sicher und ergonomisch durchgeführt werden können. Die BGN spricht das Thema Manipulation verstärkt bei der Beratung von Herstellern an. Darüber hinaus nutzt sie ihren Einfluss auf die Normung, um das Thema in den maschinenspezifischen Normen wirksam zu verankern. Ein aktuelles Beispiel ist die übergreifende Norm für Verriegelungseinrichtungen (DIN EN 1088). Sie wurde im Juli 2007 geändert, um die Manipulationssicherheit stärker zu berücksichtigen.

Manipulationen an Schutzeinrichtungen von Maschinen können durch organisatorische Maßnahmen und vor allem durch eine bessere Konstruktion der Schutzsysteme vermieden werden. In Zusammenarbeit mit den Herstellern verfolgt die BGN das Ziel, zukünftig möglichst viele Unfälle aufgrund von Manipulationen zu verhindern.

 

Autor: Blümcke