Mein Chef hat mir das Leben gerettet

Suchtprobleme im Betrieb - ein Bericht aus der Praxis
von Dr. Elisabeth Lucko | aus Akzente

Bild: Ben

Ein Kollege im Betrieb hat ein Alkoholproblem. Vorgesetzte und Kollegen fühlen sich oft überfordert und hilflos. Und oft gehen sie dem Problem deshalb aus dem Weg. Dabei hat gerade der Betrieb eine reelle Chance, den Alkoholkranken zum Handeln zu bewegen. So war es bei Ben.

Ben hatte ein Alkoholproblem und Ben hatte Glück. Sein Chef hat nicht die Augen vor dem Alkoholproblem seines Mitarbeiters verschlossen, sondern er hat ihn darauf angesprochen und ihn dazu gebracht, sich helfen zu lassen. Der Chef hatte sich vor dem Gespräch mit Ben mit dem Thema beschäftigt und sich schlaugemacht, wie man Suchtprobleme im Betrieb wirksam angehen kann.

SUCHTWOCHE 2017
13.–21. Mai 2017
Bundesweite Aktionswoche unter dem Motto »Alkohol – Verantwortung setzt die Grenze«. Die Aktion zielt darauf ab, das Bewusstsein für die Problematik zu vergrößern, den Alkoholkonsum zu reduzieren und die Stigmatisierung von Menschen zu überwinden.

Ben, ehemaliger Alkoholkranker
»Mein Chef hat mir das Leben gerettet. Klingt fast ein bisschen pathetisch, was?«, sagt Ben und lacht. »Stimmt aber. Wenn er mich damals nicht mehr oder weniger gezwungen hätte, was gegen meine Suchtkrankheit zu tun, dann würde ich heute vermutlich nicht mehr leben. Natürlich war das ein Schock, als er mir beim ersten Gespräch sagte, dass er einen Zusammenhang sieht zwischen meinen nachlassenden Leistungen und meinen Trinkgewohnheiten. Ich dachte ja immer noch, ich hab das alles im Griff.

Also hab ich mal wieder versucht, weniger zu trinken und zumindest in der Firma einigermaßen nüchtern zu sein. Das ging auch eine Weile ganz gut. Aber dann kam der Ärger mit dem Kollegen Hannes. Und diesen Frust hab ich dann kräftig runtergespült. Besser wurde die Sache davon auch nicht. Im Gegenteil: Am nächsten Tag konnte ich gar nicht zur Arbeit. Und das hieß: wieder zum Chef. Und diesmal hat er mich dann knallhart vor die Alternative gestellt: Entweder du gehst zur Suchtberaterin oder es gibt eine Abmahnung. Da blieb mir nichts anderes mehr übrig. Meinen Job wollte ich auf keinen Fall verlieren. Ich hab ja schließlich Frau und Kinder. Die sind jetzt übrigens auch ganz schön happy, dass ich das Saufen aufgegeben habe.«

Herr Boss, der Vorgesetzte
Bild: Herr Boss »Glauben Sie nicht, dass mir diese Gespräche mit Ben leichtgefallen sind. Ich habe ja auch lange gewartet und immer noch gedacht: Der fängt sich schon wieder. Und außerdem: Was mache ich, wenn er alles abstreitet? Dann stehe ich ja auch blöd da. Und die geben es doch nicht zu, dass sie trinken, die Alkis.

In einem Seminar bei der BGN habe ich dann gelernt: Es geht gar nicht darum, dass der das zugibt. Sondern: Es ist meine Aufgabe als Vorgesetzter, ihn mit seinen Fehlleistungen zu konfrontieren. Ich muss ihn dazu auffordern, sein Verhalten zu ändern. Wie er das schafft, ist zunächst einmal seine Sache. Manche sollen es ja angeblich einfach so hinkriegen. Aber die meisten brauchen halt doch professionelle Hilfe, und die müssen sie dann auch annehmen.
Ich habe mir übrigens vor den Gesprächen mit Ben auch Hilfe geholt und mich von unserer Suchtberaterin 'briefen' lassen, wie man so sagt. Heute bin ich echt stolz darauf, dass wir das gemeinsam so hingekriegt haben. Ben ist wieder einer unserer zuverlässigsten und besten Mitarbeiter.«

Herr Trost, der Betriebsrat
Herr Trost »Gleich nach dem ersten Gespräch bei seinem Chef ist Ben zu mir gekommen und hat gefragt, ob er sich das bieten lassen muss. Schließlich sei es doch seine Privatsache, wie viel er trinkt. Ich als Betriebsrat soll nun bitte dafür sorgen, dass da nichts passiert - mit Abmahnung und so.

Da musste ich ihm erklären, dass wir eine Betriebsvereinbarung haben, in der steht, dass sein Vorgesetzter dazu verpflichtet sei, so zu handeln. Diese Betriebsvereinbarung wurde ja gemeinsam mit den Betriebsräten erstellt, und die haben die Aufgabe, sich für die Belange aller Mitarbeiter einzusetzen; für seine und für die seiner Kollegen. Mir war natürlich auch klar, dass weiteres Abwarten und Zuschauen die Sache nur schlimmer macht. Man nennt das Co-Abhängigkeit. Aber das konnte ich ben damals nicht erklären, so aufgeregt und sauer wie der war. Ich hab ihm geraten, einen Termin mit der Suchtberaterin zu vereinbaren, und angeboten, beim nächsten Gespräch mit dem Vorgesetzten dabei zu sein.«

HILFE UND BERATUNG
BGN-Seminare:
Im Ausbildungszentrum, Mannheim
Suchtprävention als Führungsaufgabe

Illegale Drogen im Betrieb
Anmeldung und Organisation: ausbildung@bgn.de, Fon 0621 4456-4441

Internet:
www.dhs.de
www.bzga.de
www.alkohol-lexikon.de
www.lzg-bayern.de

Frau Helfer, die Suchtberaterin
Bild: Frau Helfer »Zunächst mal hat Herr Boss ja gemeint, ich soll mich mal um Ben kümmern, der macht nur noch Probleme und trinkt viel zu viel. Aber so geht das ja nicht. Wir haben uns dann zusammengesetzt und besprochen, welche Rolle jeder von uns hat. Meine Rolle ist die des Beraters sowohl für die Vorgesetzten als auch für die Betroffenen. Als Ben dann endlich bei mir vor der Tür stand, war ich richtig froh. Er hat sich ganz schön viel Zeit gelassen und ist erst zwei Tage vor Ablauf der Frist gekommen.

Man darf nicht erwarten, dass bereits beim ersten Termin alle Probleme gelöst werden. Aber man hat viel erreicht, wenn der Betroffene nach dem ersten Gespräch das Gefühl hat: Da ist einer, der versteht mich. Dem kann ich vertrauen und der nimmt mich ein wenig an die Hand, damit ich die Hilfe finde, die richtig für mich ist. Ben hat sich dann auch bei der Beratungsstelle, die ich ihm empfohlen habe, gut aufgehoben gefühlt. Die haben ihn dazu motiviert, eine Therapie zu machen, und gemeint, er könne das auch ambulant machen. War natürlich eine tolle Sache, dann musste er nicht wochenlang am Arbeitsplatz fehlen.

Inzwischen ist Ben mehr als ein Jahr trocken. Er geht regelmäßig in eine Selbsthilfegruppe. Alle vier Wochen kommt er zu mir und berichtet, wie es so geht, was in der Gruppe läuft, wie stabil er sich gerade fühlt. Diese regelmäßigen Kontakte sind eine gute Möglichkeit, eventuellen Rückfällen vorzubeugen. Oder: Für den Fall der Fälle dann auch gleich richtig zu handeln. Die Phase der größten Gefährdung hat ben bereits überstanden. Aber dranbleiben muss er an der Krankheit sein Leben lang. Das weiß er und dabei können wir ihn im Betrieb unterstützen.«

Wenn Sie Fragen haben: Fon 089 89466-5820, weitere Infos

 

Autor: Lucko