Das Geheimnis des kleinen Koffers


Bei Maggi in Singen wird seit der Einführung eines neuen Trainings- und Qualifikations­konzeptes Arbeitsschutz von allen gelebt
von Elfi Braun | aus Akzente

Bild: Mitarbeiterin von Maggi in Singen mit Schutzkoffer in der Hand



Bei Maggi in Singen setzt man auf qualifizierte und motivierte Mitarbeiter als wichtigsten Faktor für den Unternehmens­erfolg. Deshalb wird hier viel getan, um die Mitarbeiter zu qualifizieren. Wichtigstes Thema: der Arbeitsschutz. Für das Konzept eines »Training on the Job« mit zum Teil ungewöhnlichen Methoden erhielt das Unternehmen 2004 den Präventionspreis der BGN in der Kate­gorie »Programme, Konzepte und Systeme für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung«.

Edeltraud Seebald ist im Maggi Werk in Singen auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz in der Produktion. Wie immer hat sie den kleinen durchsichtigen Koffer dabei. Auch die anderen Mitarbeiter laufen mit einem solchen Koffer durchs Werk. Das Geheimnis des Koffers lüftet sich, als Edeltraud Seebald den Koffer aufklappt. Er enthält verschiedene Sorten von Schutzhandschuhen, Gehörschutz und eine Staubmaske. Der Koffer ist eine der vielen guten Ideen im Maggi Werk, wie die Mitarbeiter besser arbeiten.
Betriebsleiter Volker Raach erklärt: »Seit einigen Jahren beziehen wir den

Hans-Peter Mayer, Sicherheitsfachkraft
Hans-Peter Mayer,
Sicherheitsfachkraft

Arbeitsschutz noch stärker in unsere Verbesserungsprozesse ein als früher. Das ist nahe liegend: Denn Verbesserungsprozesse werden von Menschen in Gang gesetzt und durchgeführt. Somit entscheidet letztendlich die Pflege und Aktivierung unserer Mitarbeiter über Erfolg und Misserfolg unseres betrieblichen Handelns. Wir brauchen leistungsfähige und leistungsbereite Mitarbeiter, die qualitätsbewusst arbeiten. Und dafür müssen wir hochwertige und sichere Arbeitsplätze und ein gutes Betriebsklima schaffen. Der Arbeitsschutz ist hierfür genau das richtige Instrument.«
Edeltraud Seebald trägt nicht nur ihren Koffer durchs Werk. Sie weiß auch mit dem Inhalt umzugehen, nämlich wie und wann sie die einzelnen Schutzausrüstungen bei der Arbeit verwenden muss. Wie alle rund 1.000 Mitarbeiter im Singener Maggi Werk kennt sie sich im Arbeitsschutz aus. Weil sie hier viel darüber lernt.

Jeder muss Verantwortung im Arbeitsschutz übernehmen
Damit der Arbeitsschutz auch lebt und wirklich etwas erreicht wird, muss nach Auffassung der Verantwortlichen bei Maggi jeder mitmachen und jeder muss Verantwortung übernehmen. Das aber kann man nicht nur per Dekret anordnen. Vielmehr muss ein Bewusstsein für sicheres Arbeiten entwickelt werden. ursula mitgau, stellvertretende Sicherheitsingenieurin,

Ursula Mitgau, Sicherheitsingenieurin
Ursula Mitgau,
Sicherheitsingenieurin

erläutert: »Wer Verantwortung übernimmt, muss wissen, wofür und wie er das tun muss.« Mit der einmal jährlich vorgeschriebenen Unterweisung schafft man das nicht.
Sicherheitsingenieur Klaus Stoll erinnert sich: »Die jährliche Unterweisung wurde oft als lästige Pflicht empfunden, die man schnell über die Bühne bringen wollte. Eine erste Verbesserung erreichten wir, als wir vor ein paar Jahren eine jährliche Aktionswoche einführten. Während der Aktionswoche fahren wir die Produktion zurück, so dass jeder Mitarbeiter Gelegenheit hat teilzunehmen. Die Idee dahinter ist: Den Arbeitsschutzgedanken und Arbeitsschutzwissen ohne Druck und mit Spaß an die Leute zu bringen. Wir haben viele Dinge zum Ausprobieren angeboten. Jeder konnte sich für das Zeit nehmen, was ihn interessierte.«
Auch Betriebsrat Alfred Gruber sieht in der Aktionswoche einen ersten Schritt in die richtige Richtung, um die Mitarbeiter für den Arbeitsschutz zu sensibilisieren: »Die Kollegen haben sich wirklich mit den Dingen auseinander gesetzt und etwas verstanden. Doch der jährliche Rhythmus war zu wenig, um am Ball zu bleiben. Die Schulungsintervalle mussten kürzer werden.« Doch wie? Schließlich konnte man die Produktion nicht jeden Monat drosseln. Bei knapp 1.000 Mitarbeitern war das nicht einfach zu bewerkstelligen.

Bild: Mitarbeiter des Maggi Werks in Singen

 


Für jeden Mitarbeiter 10 Schulungen im Jahr
Ursula Mitgau erzählt: »Wir haben eine Lösung gefunden: kleine Lerngruppen und kontinuierliche Trainingseinheiten – und das Ganze bei normal laufender Produktion. Unser Kreis Arbeitsschutz aus Sicherheitsingenieuren, Sicherheitsfachkraft, Vertretern des Betriebsrates und Sicherheitsbeauftragten hat zusammen mit der Betriebsleitung hierzu ein neues Trainings- und Qualifikationskonzept auf den Weg gebracht.« Seitdem erhält jeder Mitarbeiter eine 1-stündige Schulung pro Monat – 10 Schulungen im Jahr. Die Schulungen in Kleingruppen von 10 Mitarbeitern f

Alfred Gruber, Betriebsrat
Alfred Gruber,
Betriebsrat

inden vor oder nach der Arbeit außerhalb des Schichtmodells, aber innerhalb bezahlter Zeit statt. Um das Ganze minuziös ineinander zu organisieren, hat die Betriebsleitung Mitarbeiter Frank Kunde dafür freigestellt. Betriebsleiter Raach: »Das hat sich schnell ausgezahlt. Die Qualifizierung unserer Mitarbeiter funktioniert und läuft ohne Druck für die Organisatoren ab.« Wie das im Einzelnen aussieht, erläutert Organisator Frank Kunde: »Jeder Mitarbeiter ist einer von 95 Gruppen zugeordnet. Jede Gruppe hat einen Stundenplan. Der Mitarbeiter muss selbst dafür sorgen, dass er alle Schulungen erhält. Er ist für seine Qualifikation verantwortlich. Wer eine Schulung versäumt, muss sich darum kümmern, dass er sie in einer anderen Gruppe nachholt. Die Teilnahme an den Schulungen wird dokumentiert. Nach 3 bis 4 Themen wird eine Wiederholung zwischengeschaltet, in der wir per anonymem Test vor allem überprüfen, ob unser Konzept funktioniert.«

Mitarbeiter schulen Mitarbeiter
Und wer schult die knapp 1.000 Leute? Hierzu erklärt Sicherheitsingenieur Klaus Stoll: »Mitarbeiter schulen Mitarbeiter. Wir haben 50 Mitarbeiter als Moderatoren ausgebildet und die Schulung damit auf eine breite Basis gestellt. Damit die Leute motiviert an die Sache herangehen, können die Gruppen das Schulungsthema selbst wählen und ausgestalten. Hier

Frank Kunde, Organisator
Frank Kunde,
Organisator

kommen viele gute Ideen zusammen, z.B. in das Thema Gefahrstoffe mit Haushaltsreinigern einzusteigen oder ein Fahrzeug nicht nur theoretisch, sondern praktisch zu kontrollieren oder das Gewicht einer voll beladenen Palette zu messen. Individualität und Kreativität von unten – das ist hier ganz entscheidend.«
Highlight der Mitarbeiterqualifikation bei Maggi bleibt die jährliche Aktionswoche. Sicherheitsfachkraft Hans-Peter Mayer: »Hier wollen wir den Mitarbeitern etwas jenseits vom Normalen bieten. Wir wollen Lockerheit in die Thematik reinbringen, indem wir Dinge aus ganz anderen Blickwinkeln betrachten.« Es war Mayers Idee, die Gefährdungsbeurteilung in das Schulungskonzept zu integrieren und auch zum Thema der Aktionswoche 2003 zu machen. Mayer: »Auf diese Weise ist jeder im Betrieb in die Gefährdungsbeurteilung eingebunden und trägt die Ergebnisse mit.«

Gefährdungsbeurteilung: alle sind beteiligt
»Ein leichtes Thema war das nicht«, erinnert sich Klaus Stoll: »Zumal es auch noch mit trockener Theorie losging. Die war aber notwendig, um

Klaus Stoll, Sicherheitsingenieur
Klaus Stoll,
Sicherheitsingenieur

sicherzustellen, dass die Mitarbeiter die Gefährdungsbeurteilung an ihrem Arbeitsplatz nach einheitlichen Kriterien durchführen. Nur so waren später gleiche Bewertungen zu bekommen.« Wieder übernahmen ausgebildete Moderatoren die Schulung der Kollegen. Basis für alle war eine Info-Mappe, die jeder Mitarbeiter durcharbeiten musste.
Bevor es dann endlich praktisch zur Sache ging, hatte sich Sifa Mayer etwas ganz Besonderes zur Motivation ausgedacht: die jährliche Aktionswoche mit einem Sinnesparcours. An vielen verschiedenen Stationen mit optischen Täuschungen, besonderen Lichteffekten, Geräuschen, Geschicklichkeitsübungen, Rätseln usw. ging es darum, die verschiedenen Sinne anzusprechen und bewusstes Sehen zu fördern. Auch sollten die Mitarbeiter erkennen, dass unterschiedliche Menschen Dinge anders sehen und anders einschätzen. Mayer: »Erst wenn das klar ist, wird auch deutlich, dass wir bei der Durchführung der

Volker Raach, Betriebsleiter
Volker Raach,
Betriebsleiter

Gefährdungsbeurteilung auf bestimmte Regeln und Methoden bestehen müssen, wenn wir brauchbare Ergebnisse haben wollen.« Mittlerweile liegen die Daten der Gefährdungsbeurteilungen auf dem Tisch und sind zum größten Teil ausgewertet. Ursula Mitgau: »Die Gefährdungsbeurteilung hat deutlich an Qualität gewonnen. Wir wissen jetzt viel genauer als vorher, in was wir die Mitarbeiter unterweisen müssen.« So schließt sich der Kreis. »Wir müssen unsere Mitarbeiter mitnehmen, wenn wir etwas erreichen wollen« lautet die Devise des Kreises Arbeitsschutz und der Betriebsleitung. Dass dies gelingen kann, hat man bei Maggi mit dem Training-on-the-Job-Modell gezeigt. Für Betriebsleiter Volker Raach ist dieser Erfolg aber keineswegs ein Grund, sich zurückzulehnen: »Wir haben den Anfang gemacht, es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Das Grobkonzept für die nächsten Jahre ist gestrickt, mit dem wir Schritt für Schritt immer besser werden wollen. Und damit müssen wir heute anfangen, um auch morgen noch wettbewerbsfähig zu sein.«

 

Autor: Braun