Risikoanalyse mit System

Wenn der Maschinenbetreiber zum Hersteller wird
von Thomas Gangkofner

Viele Nahrungsmittel- oder Getränkehersteller bauen selbst Maschinen für den Eigengebrauch oder stellen Maschinen zu Produktions-, Abfüll- oder Verpackungsanlagen zusammen. Rechtlich werden sie damit zum Maschinenhersteller und sind verpflichtet, eine Gefahrenanalyse durchzuführen. Maschinenbau ist aber für diese Unternehmen kein Alltagsgeschäft. Die Verantwortlichen sind oft unsicher, wie eine solche Analyse aussieht und was sie beinhalten muss.

Wenn Hersteller von Nahrungsmitteln oder Getränken zum Maschinenhersteller werden, kann das vielfältige Gründe haben. Häufig will man das eigene Know-how schützen, manchmal sind wesentliche Veränderungen an Maschinen oder Anlagen notwendig. Die Maschinenrichtlinie (2006/42/EG) verpflichtet den Hersteller, »eine Gefahrenanalyse vorzunehmen, um alle mit seiner Maschine verbundenen Gefahren zu ermitteln; er muss die Maschine dann unter Berücksichtigung seiner Analyse entwerfen und bauen.«

Die Richtlinie verlangt ein iteratives Verfahren, bei dem zunächst die Grenzen der Maschine zu bestimmen und die möglichen Gefahren zu ermitteln sind. Anschließend ist anhand der möglichen Verletzungsschwere und der Eintrittswahrscheinlichkeit das Risiko abzuschätzen und zu bewerten. Wie diese Risikobeurteilung genau durchzuführen ist, nach welchen Kriterien die Risikobewertung erfolgen und wie die Dokumentation aussehen soll, bestimmt die Richtlinie nicht genauer. Der Maschinenhersteller kann somit Verfahren und Dokumentation an seine individuellen Bedürfnisse anpassen. Aber genau diese Freiheiten bereiten dem betrieblichen Praktiker häufig Probleme.

Der Analyserahmen

Ziel der Risikobeurteilung ist es, alle mit der Maschine oder Anlage verbundenen Gefahren in allen Lebensphasen der Maschine zu identifizieren und dort, wo notwendig, geeignete Maßnahmen zur Beseitigung oder Reduzierung des Risikos zu ermitteln und festzulegen. Zu den Lebensphasen der Maschine gehören Bau, Transport, Inbetriebnahme einschließlich Aufbau, Installation und Einstellung, Einsatz und Gebrauch (Rüsten, Betrieb, Reinigung, Fehlersuche, Instandhaltung), Außerbetriebnahme, Abbau, Demontage und Entsorgung, wobei einige dieser Phasen für den Anlagenbau weniger relevant sind. Bau, Transport und Entsorgung sind in der Regel durch die Einzelmaschinen bzw. Komponenten der Anlage bestimmt, so dass sich die Analyse in diesem Fall meist auf Inbetriebnahme, Einsatz und Gebrauch beschränken kann, wenn er die Komponenten nicht selbst baut.

Die Qualität der Risikoanalyse hängt wesentlich von den zur Verfügung stehenden Informationen ab. Dies können z.B. Erkenntnisse zu Unfällen oder Zwischenfällen mit vergleichbaren Maschinen oder Anlagen sein. Für den Eigenbauer sind die Erfahrungen des Betriebspersonals besonders wertvoll. Das Fehlen einer Unfallgeschichte oder nur geringe Unfallzahlen sowie ein geringes Schadensausmaß bedeuten aber nicht automatisch, dass auch das Risiko gering ist. Um das tatsächliche Risiko zu ermitteln, müssen alle Informationsquellen herangezogen werden, z.B. Fachliteratur, technische Spezifikationen, Prüfberichte, Handbücher oder Datenblätter verwendeter Komponenten.

NORMEN
DIN EN ISO 12100
»Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze - Risikobeurteilung und Risikominderung«
DIN EN ISO 13849-1
»Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen – Teil 1: Allgemeine Gestaltungsleitsätze«


Der Ablauf der Risikobeurteilung beinhaltet grundsätzlich die in folgendem Schema enthaltenen Schritte.

Die Gefahrenanalyse

Als Erstes muss festgelegt werden, was überhaupt alles zu betrachten ist. Dazu werden die räumlichen Grenzen, Verwendungsgrenzen und zeitlichen Grenzen ermittelt. Die Grenzen der Maschine bestimmen ihre Funktion und die Rahmenbedingungen, unter denen sie eingesetzt werden soll. Hinweise hierzu enthält Abschnitt 5.3 der DIN EN EN ISO 12100.

Nachdem die Rahmenbedingungen festgelegt sind, müssen alle Gefahrenquellen der Maschine und Gefährdungsereignisse sowohl bei Normalbetrieb als auch bei Fehlfunktion ermittelt werden. Gefährdungsursachen können u.a. in Eigenschaften von Maschinenteilen oder Werkstoffen liegen, z.B. scharfe Kanten. Mechanische Gefährdungen können durch betriebsmäßige Bewegungen von Maschinenteilen oder z.B. durch den unerwarteten Anlauf oder Wiederanlauf der Maschine hervorgerufen werden. Das kann infolge gespeicherter Energien, durch Ausfall und Wiederkehr der Energieversorgung oder durch einen Fehler in der Steuerung der Fall sein. Auch menschliche Verhaltensweisen müssen analysiert werden, d.h. alle Eingriffe der Operatoren in allen Lebensphasen der Maschine. Dabei ist auch Fehlverhalten wie Unachtsamkeit, reflexartiges Eingreifen oder der Weg des geringsten Widerstandes zu berücksichtigen.


Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, zunächst die Funktion und die möglichen Zustände der Maschine sowie die Arbeitsabläufe zu analysieren. Dabei sind sowohl die Hauptfunktion als auch mögliche Nebenfunktionen wie z.B. automatische Reinigung von Interesse. Den einzelnen Arbeitsschritten und Zuständen können dann die zu erwartenden Eingriffe der Operatoren zugeordnet werden.

Bei komplexen Maschinen oder Anlagen ist es unter Umständen hilfreich, das System in überschaubare Untersysteme, z.B. Funktionseinheiten, zu zerlegen. Dann werden nacheinander die Gefährdungen innerhalb der Untersysteme ermittelt und anschließend noch die Gefährdungen, die sich aus der Anordnung und dem Zusammenwirken der Untersysteme ergeben.

Da bei der Errichtung von Maschinenanlagen, z.B. Abfüll- oder Verpackungsanlagen, die Gefährdungen, die mit den Einzelmaschinen verbunden sind, bereits vom Hersteller der Einzelmaschine betrachtet wurden, wird sich der Anlagenhersteller im Wesentlichen auf die Gefährdungen konzentrieren, die aus Anordnung und Zusammenwirken der Einzelkomponenten resultieren. Es wird empfohlen, eine Maschinenliste zu erstellen und dort die Schnittstellen anhand der nummerierten Maschinen aufzulisten. Die Maschinennummern werden zweckmäßigerweise in den Anlagenplan eingetragen.

Die Risikoeinschätzung

Nachdem die Gefährdungen ermittelt wurden, ist das Risiko einzuschätzen, das mit diesen Gefährdungen verbunden ist. Das Risiko ist eine Kombination aus der Schwere des möglichen Schadens und der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Letztere wiederum ist abhängig von der Aufenthaltsdauer bzw. -häufigkeit im Gefahrbereich, der Wahrscheinlichkeit des Eintretens des gefährdenden Ereignisses – bestimmt durch die verschiedenen Auslösefaktoren – und unter bestimmten Voraussetzungen der Möglichkeit der Gefahrenabwehr. Da in der Praxis selten Zahlenwerte für die Parameter vorliegen, wird in der Regel versucht, mit qualitativen Abschätzungen eine Einstufung zu erreichen. Für die Risikoeinschätzung stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung, wie etwa der Risikograph oder Tabellen.

Die Risikobewertung

Auf die Risikoeinschätzung folgt die Risikobewertung. Es muss entschieden werden, ob ein tolerierbares Risiko vorliegt oder ob (weitere) Maßnahmen zur Risikominderung erforderlich sind. Kriterien, die für ein tolerierbares Risiko sprechen, sind u.a.:

Es wurde eine umfassende Risikoanalyse durchgeführt.
Das zugängliche Wissen und die wissenschaftlichen Instrumentarien wurden angewendet.
Die Maschine und die Sicherheitsmaßnahmen entsprechen den Gesetzen, dem Stand der Technik und den Ergebnissen der Risikoanalyse.



Risikominderung

Kommt der Hersteller zu dem Schluss, dass das Risiko nicht tolerierbar ist, sind geeignete Maßnahmen der Risikominderung zu ermitteln. Dazu ist die Maschine oder Anlage erneut einer Risikobeurteilung zu unter­ziehen. Die gefundenen möglichen Maßnahmen sind dabei unter Berücksichtigung der (gegebenenfalls neu festzulegenden) Grenzen der Maschine und ihrer (eventuell veränderten) Funktion zu analysieren und zu bewerten. Dann werden die geeigneten Maßnahmen oder Maßnahmenkombinationen ausgewählt. Falls sich Maßnahmen gegenseitig ausschließen oder eine Maßnahme die Anwendung einer anderen erschwert, müssen Kompromisse gefunden oder Prioritäten gesetzt werden. Für die Risikominderung ist in der Maschinenrichtlinie folgende Maßnahmenhierarchie vorgeschrieben:

Beseitigung oder Minimierung der Gefahren (durch konstruktive Maßnahmen)
Ergreifen von Schutzmaßnahmen
Benutzerinformation (über nicht zu beseitigende Restgefahren)


Die jeweils niedrigere Stufe darf dabei erst angewendet werden, wenn die höherwertige Maßnahme nicht möglich ist oder das Risiko nicht ausreichend mindert. Ein entsprechendes Ablaufdiagramm ist in DIN EN ISO 12100 zu finden, ebenso wie die grundlegenden Maßnahmen, Anforderungen an Schutzeinrichtungen, Steuerungen und Benutzerinformationen. DIN EN ISO 13849 hilft bei der Auslegung von sicherheitsgerichteten Teilen der Steuerung.

Die Maßnahmen können sich für unterschiedliche Lebensphasen der Maschine durchaus unterscheiden. Normalerweise wird sich eine Kombination verschiedener Maßnahmen ergeben. Für den Normalbetrieb einschließlich Störungsbeseitigung kann z.B. eine verriegelte trennende Schutzeinrichtung geeignet sein. Für Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten - und meist auch für die Reinigung - muss in der Regel eine sichere Energietrennung - üblicherweise durch abschließbare Hauptschalter für alle Energiearten - erfolgen.

Verbleiben trotz Schutzmaßnahmen Restgefahren, dann muss der Hersteller in der Betriebsanleitung und gegebenenfalls durch Hinweise an der Maschine angemessen darauf hinweisen.


Die Dokumentation

Gemäß Abschnitt 7 von DIN EN ISO 12100 sind im Rahmen der Risikobeurteilung u.a. die Maschinenspezifikation, die der Beurteilung zugrunde gelegten Annahmen, die festgestellten Gefährdungen, Gefährdungssituationen und Gefährdungsereignisse, die Schutzmaßnahmen und die Ergebnisse der Risikobewertung zu dokumentieren, z.B. in einer Tabelle.

Der Hersteller kann nun die Maschine nach den Erkenntnissen seiner Risikobeurteilung bauen und die erforderliche technische Dokumentation einschließlich der Betriebsanleitung erstellen. Hat er abschließend die Übereinstimmung mit der Maschinenrichtlinie und gegebenenfalls weiteren anzuwendenden Richtlinien festgestellt, kann er die Konformitätserklärung ausstellen und das CE-Zeichen anbringen.

Wer an weiteren Infos zur Risikobeurteilung interessiert ist, kann sich an die Prävention der BGN wenden:
Fon 0621 4456-3517 e-mail:praevention@bgn.de

 

Autor: Gangkofner