2. Informationsermittlung

2.1 Gefahrstoffinformation

2.1.1 Zusammensetzung und Staubungsverhalten

Als Kieselgur bezeichnet man das fossile Kieselsäuregerüst einzelliger Kieselalgen (Diatomeen). Das aus Lagerstätten gewonnene Rohprodukt ist wasserhaltig und von erdiger Beschaffenheit (Diatomeenerde). Um Wasser und organische Bestandteile zu entfernen, durchläuft die Kieselgur während der Aufbereitung einen Glüh- und Brennprozess. Hierbei wird ein Teil des amorphen Siliciumdioxids in kristallines Cristobalit umgewandelt. Demzufolge enthält die verwendungsfertige Kieselgur neben amorphem Siliciumdioxid auch kristallines Siliciumdioxid in den beiden Kristallformen Quarz und Cristobalit.

Eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Arbeitsschutz (IFA) über die Zusammensetzung von 15 eingesetzten Kieselguren ergab, dass zwei Drittel der handelsüblichen Kieselguren Cristobalit enthielten, wohingegen Quarz nur bei einem Drittel der untersuchten Produkte nachweisbar war. Der Cristobalit-Anteil in der Kieselgur variierte zwischen 1 bis 73 %, während der Gehalt im Feinanteil bis zu 100 % betrug.

Mögliche Gefährdungen gehen von den in die Atemluft freigesetzten Kieselgur-Stäuben aus. In der DIN EN 481 "Arbeitsplatzatmosphäre; Festlegung der Teilchengrößenverteilung zur Messung luftgetragener Partikel" wird der in der Luft befindliche Staub in verschiedene Partikelgrößenfraktionen unterteilt. Der einatembare oder auch E-Fraktion genannte Staub umfasst alle Partikel, die mit einer Ansauggeschwindigkeit von 1,25 m/s entsprechend der Einatemgeschwindigkeit erfasst werden können. Hier sind grobe Partikel bis ca. 100 µm, aber auch alle feinen Partikel bis unter 1 µm aerodynamischem Durchmesser enthalten. Von größter gesundheitlicher Bedeutung ist allerdings der Feinstaubanteil, der Partikelgrößen bis ca. 10 µm umfasst, wobei 90 % der Partikel kleiner als 5 µm sind. Dieser auch "alveolengängige" Fraktion oder A-Staub genannte Anteil besteht aus Partikel, die bis tief in die feinsten Verästelungen der Lunge und die Lungenbläschen (Alveolen) eindringen. Dort können solch kleine Partikel nicht mehr durch Flimmerhärchen und Husten ausgetragen werden.

Abb. 1: Partikelfraktionen, Quelle: www.dguv.de/staub-info

Abb. 1: Partikelfraktionen, Quelle: www.dguv.de/staub-info


Erwartungsgemäß ist im freigesetzten Staub handelsüblicher Feinguren der Anteil der alveolengängigen Fraktion größer als im Staub der Grobguren. So lag bei aktuell untersuchten Feinguren der Feinanteil im Durchschnitt bei 20 %.

2.1.2 Einstufung

Kristallines Siliziumdioxid wurde im Jahr 2011 von der IARC (International Agency for Research on Cancer) als für den Menschen kanzerogen eingestuft. In Deutschland wurde im Jahr 2016 ein Beurteilungsmaßstab für Quarzfeinstaub festgelegt: Dieser leitet sich aus der nichtkanzerogenen Wirkung ab, deren Wirkschwelle unterhalb derjenigen der kanzerogenen Wirkung liegt.

In Übereinstimmung mit der CLP-Verordnung, die innerhalb der EU seit 2009 die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen regelt, wurde nach einer Gefährdungsanalyse der Feinanteil des kristallinen Siliziumdioxids mit STOT RE 1 bewertet. Dies bedeutet eine spezifische Zielorgantoxizität (STOT) – hier Lunge – bei wiederholter Exposition (RE) von Quarz- bzw. Cristobalit-Feinstaub.

Als Konsequenz dieser Einstufung werden Gemische oder Produkte in Abhängigkeit des Quarz- bzw. Cristobalit-Gehaltes im Feinanteil wie folgt eingestuft und gekennzeichnet:

Kennzeichnung:

GHS-Symbol

"STOT RE1 Gefahr", wenn der Feinanteil an kristallinem Siliziumdioxid größer oder gleich 10 % beträgt.

"STOT RE 2 Achtung", wenn der Feinanteil an kristallinem Siliziumdioxid zwischen 1 % und 10 % liegt.

Unterhalb 1 % Anteil entfällt eine diesbezügliche Einstufung.

Abb. 2: Kennzeichnungsbeispiel für Kieselgur-Sackware

Abb. 2: Kennzeichnungsbeispiel für Kieselgur-Sackware


2.2 Beurteilung der Staubgefährdung

Die alveolengängigen Stäube aus gebrannter Kieselgur haben gesundheitsgefährdende Eigenschaften. Aus diesem Grund ist für den Feinstaub des amorphen Anteils der Kieselgur ein Arbeitsplatzgrenzwert von 0,3 mg/m³ (A-Staubfraktion) festgelegt.

Besondere Gesundheitsgefahren gehen jedoch von dem kristallinen Anteil des Feinstaubs aus. Diese können nachgewiesenermaßen Silikose, eine spezielle Form der Staublunge, aber auch Lungenkrebs verursachen.

Für quarz- und cristobalithaltigen Staub gilt seit 2016 ein Beurteilungsmaßstab für Quarzstaub von 0,05 mg/m³, der für die Gefährdungsbeurteilung zur Kontrolle der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen heranzuziehen ist. Davon unbenommen ist an den beschriebenen Arbeitsplätzen der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) für den alveolengängigen Staub (A-Staub) von 1,25 mg/m³ einzuhalten.

Um Arbeitsplätze in der Getränkeindustrie hinsichtlich ihrer Exposition gegenüber Kieselgur-Stäuben zu beurteilen, wird die messtechnische Ermittlung der alveolengängigen Fraktion sowie des Cristobalits und des Quarzes in der A-Fraktion als wesentlich angesehen.

Gemäß TRGS 900 "Arbeitsplatzgrenzwerte" (Abschnitt 3, Bemerkung 1) ist auch die messtechnische Bestimmung des nicht kristallinen Anteils der Kieselgur (Kieselgur, "gebrannt 0,3 A") erforderlich. Da bei der Ermittlung, des alveolengängigen Anteils von Quarz oder Cristobalit immer auch der Feinstaub in der Luft ermittelt wird, sollte bei Überschreitung von 0,3 mg/m³ als Schichtmittelwert die messtechnische Ermittlung von "Kieselgur, gebrannt" durchgeführt werden.

Die TRGS 906 "Verzeichnis krebserzeugender Tätigkeiten oder Verfahren nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 GefStoffV" stuft Tätigkeiten oder Verfahren, bei denen Beschäftigte alveolengängigen Stäuben aus kristallinem Siliciumdioxid in Form von Quarz und Cristobalit ausgesetzt sind, als krebserzeugend ein.

Auch wenn der Beurteilungsmaßstab unterschritten ist, kann nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft ein Krebsrisiko nicht ausgeschlossen werden. Daher ist auch bei Unterschreitung des Beurteilungsmaßstabes die Exposition im Sinne der Begründung des Beurteilungsmaßstabes weiter zu minimieren.

Die Technische Regel für Gefahrstoffe 559 "Quarzhaltiger Staub" führt dazu aus:

Der Arbeitgeber kann davon ausgehen, dass das Gebot der Minimierung beachtet ist, wenn

  1. der Beurteilungsmaßstab unterschritten ist und
  2. Maßnahmen nach Anhang I Nr. 2.3 GefStoffV - Ergänzende Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten mit Exposition gegenüber einatembaren Stäuben - umgesetzt sind; siehe auch Kapitel 4 "Schutzmaßnahmen zur Staubminimierung",
  3. die branchenüblichen Betriebs- und Verfahrensweisen umgesetzt sind und
  4. weitere Maßnahmen keine signifikante Expositionsminderung erbringen würden.

Tabelle 1: Übersicht über die relevanten Grenzwerte für die Exposition

Allgemeiner Staubgrenzwert alveolengängige Fraktion 1,25 mg/m3
Arbeitsplatzgrenzwert [AGW] Kieselgur, gebrannt, in der alveolengängigen Staubfraktion 0,3 mg/m3
Beurteilungsmaßstab
(8-Stunden-Schichtmittelwert)
kristallines Siliciumdioxid in Form von
Quarz- und Cristobalit in der alveolengängigen
Staubfraktion
0,05 mg/m3