Von der Haustür bis zum Werkstor

Arbeitsweg und Versicherungsschutz

von Birgit Loewer-Hirsch

Foto: Paket auf der Treppe

Morgens in Deutschland. Ob Frühaufsteher oder Langschläfer, wer seine Arbeitsstelle erreichen will, muss hierzu in der Regel einen Weg zurücklegen. Der Gesetzgeber hat den Weg von und zur Arbeit unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt.

Der Tag hatte für Oskar Müller schon gut angefangen. Müde, weil ein Herbststurm ihn die halbe Nacht nicht schlafen ließ, hat er sich beim Frühstück auch noch Kaffee auf die Hose geschüttet. Schnell umgezogen und los zur Arbeit. Beim Verlassen seines Einfamilienhauses passiert es dann: Er stolpert auf der Außentreppe über ein dort schon früh morgens abgestelltes Paket und bricht sich das linke Bein. Befand sich Oskar Müller bei seinem Sturz bereits auf dem Arbeitsweg und ist der Unfall folglich ein so genannter Wegeunfall, der unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht?


Anfang und Ende des Arbeitswegs
Es ist genau festgelegt, wo der Arbeitsweg anfängt und wo er endet. Der eine Grenzpunkt des Weges ist der häusliche Bereich des Versicherten. Hierbei ist es egal, ob er eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus oder aber ein Einfamilienhaus bewohnt. Der Versicherungsschutz beginnt bzw. endet mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes, in dem der Versicherte wohnt. Unfälle im Treppenhaus oder im Fahrstuhl sind somit nicht versichert, während ein Stolperunfall im Vorgarten bereits unter Versicherungsschutz steht. Im Falle Oskar Müllers also greift bereits der Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaft.

Wie liegt der Fall, wenn sich ein Stolperunfall auf dem Weg zum Auto, das einen sicher und schnell zur Arbeit bringen soll, in der eigenen Garage ereignet? Hier gilt wieder die Regel des häuslichen Bereichs: Bildet die Garage eine bauliche Einheit mit dem Wohngebäude und ist sie von innen erreichbar, so ist sie auch Teil des häuslichen Bereiches. Das bedeutet also: kein Versicherungsschutz innerhalb der Garage. Bildet die Garage eine bauliche Einheit mit dem Wohngebäude, ist von innen aber nicht erreichbar, oder bildet sie keine bauliche Einheit, sondern steht an einer anderen Stelle auf dem Grundstück, dann besteht auch in der Garage Versicherungsschutz.

Der andere Grenzpunkt ist der Ort der Tätigkeit, die Arbeitsstelle. Als Arbeitsstelle gilt das gesamte Betriebsgelände. Es beginnt mit dem Durchschreiten der Außentür des Betriebs bzw. des Werkstores des Betriebsgeländes.

Foto: Lebensmittelgeschäft

Der direkte Weg
Versichert ist grundsätzlich der direkte, d. h. der unmittelbare Weg. Der direkte Weg ist nicht unbedingt der kürzeste Weg. Es ist jeder Weg, der bei vernünftiger Betrachtung geeignet ist, das Ziel möglichst schnell und sicher zu erreichen. Es bleibt dem Versicherten freigestellt, ob er z. B. den direkten, kürzesten Weg durch die Innenstadt wählt oder eine Umgehungsstraße benutzt, weil ihm der Weg durch die Innenstadt zu beschwerlich ist.

Ebenfalls überlassen bleibt dem Versicherten, mit welchem Verkehrsmittel er den Weg zurücklegt - auch wenn hier Unterschiede hinsichtlich der Unfallgefährdung bestehen. Wichtig ist nur, dass das Verkehrsmittel überwiegend in der Absicht benutzt wird, den Weg zur Arbeit zurückzulegen. Die freie Wahl des Beförderungsmittels schließt auch Wartezeiten, z. B. auf Bus oder Straßenbahn, mit in den Versicherungsschutz ein.


Unterbrechungen des Weges
Auf dem Weg zur Arbeit noch schnell die Tageszeitung oder ein paar Brötchen kaufen. Versichert? Wenn der Versicherte für diese privaten - in der Fachsprache eigenwirtschaftlichen - Tätigkeiten den eigentlichen Weg, den er für den Arbeitsweg benutzt, verlässt, besteht dann zumindest vorübergehend kein Versicherungsschutz. Nicht versichert ist auch das Aufsuchen einer Tankstelle, um ohne betrieblich veranlasste Notwendigkeit den Tank wieder aufzufüllen. Dies gilt auch dann, wenn das Auftanken erforderlich ist, um am nächsten Tag mit dem Fahrzeug zur Arbeit zu fahren. Kehrt der Versicherte nach Beendigung der privaten Tätigkeit auf den direkten Weg zurück, lebt der Versicherungsschutz wieder auf.

Auf dem Rückweg von der Arbeitsstätte unterbrechen wir oftmals den Heimweg für länger andauernde private Tätigkeiten. Der Friseur liegt verkehrsgünstig auf dem Heimweg. Warum also erst nach Hause und dann nochmals losfahren? Klar ist, dass ein Unfall beim Friseur - hier ist kein schlechter Haarschnitt gemeint - nicht in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung fällt. Aber wenn der Versicherte danach wieder auf dem direkten Weg nach Hause ist? Hier hat die Rechtsprechung eine exakte zeitliche Grenze für die Unterbrechung gezogen. Sie liegt bei 2 Stunden. Wird der Arbeitsweg länger als 2 Stunden unterbrochen, besteht danach kein Versicherungsschutz mehr.

Foto: Autobahn

Wege vom und zum dritten Ort
Wege, die nicht von der Wohnung aus angetreten werden und nicht dort enden, werden als Wege vom und zum dritten Ort bezeichnet. Als dritter Ort gilt ein Ort, der weder zum betrieblichen noch zum häuslichen Bereich gehört und an dem der Versicherte einer privaten Tätigkeit nachgeht. Für den Versicherungsschutz auf Wegen vom und zum dritten Ort gelten grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen wie für die Wege von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück. Während bei den Wegen zwischen Arbeitsstätte und Wohnung der geforderte innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit grundsätzlich bejaht wird, weil der Versicherte diesen Weg wegen seiner Tätigkeit im Unternehmen zurücklegen muss, kann dieser Zusammenhang bei Wegen vom dritten Ort nicht grundsätzlich angenommen werden. Hier muss immer der Einzelfall geprüft werden.

Es kann nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien von folgender Faustregel ausgegangen werden: Bei Wegen von der Wohnung über einen dritten Ort zur Arbeitsstätte beginnt der versicherte Weg erst mit dem Verlassen des dritten Ortes, wenn der Aufenthalt an diesem Ort min-destens eine Stunde gedauert hat. Dann steht der Weg vom dritten Ort unter Versicherungsschutz, wenn sein wesentlicher Zweck die Aufnahme der versicherten Tätigkeit ist und er in einem angemessenen Verhältnis zum üblichen Arbeitsweg von der Wohnung zur Arbeit steht. Der Weg von der Wohnung zum dritten Ort ist jedoch auf keinen Fall versichert.

Machen Sie z. B. vor Arbeitsbeginn noch einen 1-stündigen Krankenbesuch bei einem im gleichen Ort wohnenden befreundeten Arbeitskollegen, so ist der Weg dorthin privater Natur und damit unversichert. Versichert aber ist dann der Weg von der Wohnung des Kollegen zum Betrieb.
Führt der Heimweg von der Arbeit nicht in die eigene Wohnung, sondern an einen anderen Ort, so wird dieser Ort zum dritten Ort, wenn der dortige Aufenthalt länger als 2 Stunden dauert. Der Versicherungsschutz kann hier - wenn keine unangemessene Entfernung vorliegt - nur für den Weg zum dritten Ort bestehen, aber nicht mehr für den anschließenden Weg nach Hause (s. hierzu auch unter "Unterbrechungen des Weges").


Der Umweg zum Kindergarten
Viele Berufstätige geben ihre Kinder in die Obhut eines Kindergartens oder von Tageseltern, Verwandten usw. und bringen sie auf dem Weg zur bzw. von der Arbeitsstätte dorthin bzw. holen sie wieder ab. Auch hierfür kann eine Abweichung vom direkten Arbeitsweg notwendig sein. Der Gesetzgeber hat den Versicherungsschutz in diesen Fällen auf solche Abweichungen vom versicherten Weg ausgedehnt, die zum Wegbringen oder Abholen der Kinder notwendig sind. Allerdings gilt das nur, wenn die fremde Obhut wegen der beruflichen Tätigkeit des Versicherten oder des Ehegatten erforderlich ist - also wenn beide Elternteile arbeiten oder wenn das Kind nur bei einem Elternteil lebt und dieser arbeitet. Der Umweg zum Kindergarten ist nicht versichert, wenn ein Elternteil nicht arbeitet und das Kind versorgen könnte.

Übrigens: Kinder auf dem Weg zum Kindergarten oder zur Schule und zurück sind ebenfalls versichert. Weicht das Kind vom direkten Weg in den Kindergarten oder in die Schule bzw. nach Hause ab, um sich an einen Ort zu begeben, wo es wegen der Berufstätigkeit seiner Eltern betreut werden muss, besteht auch auf diesem Weg Versicherungsschutz.

Foto: ein Kind steigt aus einem Auto

Die Zweitwohnung / Familienheimfahrten
Besondere Umstände bringen es bisweilen mit sich, dass Arbeitsstelle und Wohnung so weit von einander entfernt liegen, dass ein tägliches Pendeln nicht möglich ist. Wer deshalb am Ort der Tätigkeit eine Zweitwohnung hat, der ist auf dem täglichen Weg von dort zur Arbeitsstelle und zurück versichert. Entscheidend dafür, ob noch andere Wege versichert sind, ist die Frage, wo sich in diesem Fall der "Mittelpunkt der Lebensverhältnisse für eine nicht begrenzte Zeit" befindet. In der Regel ist das die Familienwohnung.

Als Familienwohnung gilt bei Verheirateten der ständige Aufenthaltsort des anderen Ehegatten. Bei unverheirateten Paaren kommt es immer entscheidend auf die Umstände des Einzelfalles an. Als Familienwohnung kann auch die Wohnung der Eltern, einer/eines Verlobten oder eines Lebensgefährten/einer Lebensgefährtin gelten. Bei ausländischen Arbeitnehmern bleibt der ursprüngliche Wohnsitz im Heimatland Familienwohnung, wenn und solange sich am Arbeitsort noch keine neuen, auf Dauer angelegten Beziehungen herausgebildet haben, z. B. durch Heirat oder Verlobung.

Der Versicherungsschutz besteht

Versicherte Wege sind die Fahrten zwischen Arbeitsstelle und Familienwohnung sowie die Fahrten von der Unterkunft am Ort der Tätigkeit zur Familienwohnung und zurück. Auf die Länge des Weges kommt es in der Regel nicht an.


Wohnung und Arbeitsstelle im selben Gebäude
Kein Wegeunfall kann sich ereignen, wenn der Versicherte seine Wohnung und Arbeitsstelle im selben Gebäude hat. Denn als Wegeunfälle gelten nur Unfälle, die sich auf Wegen außerhalb des Wohngebäudes ereignen. Als Arbeitsunfälle gelten Unfälle, die sich bei versicherten Tätigkeiten in Räumen ereignen, die wesentlich betrieblichen Zwecken dienen. Müssen z. B. Geschäftsunterlagen aus der Wohnung geholt werden, dann besteht für diesen betrieblichen Gang, aber auch innerhalb des Wohnteils Versicherungsschutz.


Die Bedingungen für einen Wegeunfall
Die BGN darf einen Unfall auf dem Weg von und zur Arbeit nur entschädigen, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

Als typische Gefahren des Weges gelten:

Kein Unfallversicherungsschutz besteht selbstverständlich für denjenigen, der infolge Alkoholgenusses verkehrsuntüchtig ist und wenn dies allein die rechtlich wesentliche Unfallursache ist.

Noch Fragen?
Wenn Sie weitere Fragen zum Thema Wegeunfall haben, können Sie sich gerne schriftlich oder telefonisch an die Autorin dieses Artikels wenden. Fon: 06 21/44 56-1513

 

Autor: Loewer-Hirsch