Gemeinsam zur Arbeit

Unfallversicherungsschutz von Fahrgemeinschaften

von Stefan Eiermann | aus Akzente

Foto: Einstieg zur Fahrgemeinschaft

Es ist 7 Uhr morgens. Hans Fischer wartet vor seinem Haus auf seinen Freund und Arbeitskollegen Werner Michels. Werner Michels holt ihn jeden Morgen mit dem Pkw ab, und dann fahren sie zusammen zur Arbeit. Schon seit Jahren haben sie eine Fahrgemeinschaft für den gemeinsamen Arbeitsweg.  
Ein türkisfarbener Kombi fährt um die Kurve und hält vor Hans Fischer an. Die Beifahrertür geht auf: "Steig ein", ruft ihm Werner Michels zu. "Ich habe mir heute den Wagen meiner Freundin geliehen, meiner ist in der Werkstatt." Hans Fischer steigt ein, und im Losfahren erklärt der Freund: "Wir müssen heute einen kleinen Umweg machen und die Tina abholen. Sie arbeitet auch in S.". Auf diesem für sie unüblichen Umweg nach S. haben Hans Fischer und Werner Michels einen Unfall. Sie werden schwer verletzt.
Versicherungsrechtlich gesehen ist die Sache klar: Fahrer und Beifahrer sind unfallversichert. Denn alle Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft stehen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das hat der Gesetzgeber so bestimmt, womit er zur Förderung von Fahrgemeinschaften beitragen wollte. Die Berufsgenossenschaft als Leistungsträger der gesetzlichen Unfallversicherung kommt im Versicherungsfall für Körperschäden bzw. Verletzungen auf, die sich die Teilnehmer der Fahrgemeinschaft zuziehen. Zu den Leistungen gehören u. a. Heilbehandlungen durch Fachärzte, die Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, Rehabilitationsmaßnahmen sowie Verletzten- und Hinterbliebenenrenten.  
Für Kfz-Schäden und Schmerzensgeld und sonstige Sachschäden, z. B. an der Kleidung oder an persönlichen Gegenständen, kommt die gesetzliche Unfallversicherung allerdings nicht auf. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Haftpflichtversicherung.

 

Um- und Abwege erlaubt

Für den Versicherungsschutz spielt es keine Rolle, ob die Mitfahrenden im selben Betrieb oder Unternehmen arbeiten oder nicht, oder ob man mit dem eigenen oder einem fremden Fahrzeug fährt. Auch wenn es sich bei dem Mitfahrer um den Ehegatten oder das eigene Kind handelt, schließt das den Versicherungsschutz nicht aus. Es besteht auch keine Verpflichtung, regelmäßig an den Fahrten beteiligt zu sein oder ständig den selben Weg zu wählen. Auch ein Fahrtkostenanteil oder die Beteiligung an den Benzinkosten sind keine Voraussetzung für den Versicherungsschutz.  
Außer acht bleiben kann auch, dass der Fahrer einen Um- oder Abweg zum Ort der Tätigkeit machen muss, weil der Beifahrer woanders wohnt. Das Abweichen umfasst die Unterbrechung des unmittelbaren Weges, einen Umweg sowie das Fahren in die Gegenrichtung zum Ort der Tätigkeit. Gleiches gilt, wenn ein Versicherter einen anderen Berufstätigen morgens mitnimmt, nachmittags aber nicht mit zurück - oder umgekehrt: Um- und Abweg, um den Mitfahrer abzuholen, sind versichert. Unerheblich für den Versicherungsschutz eines Versicherten ist, dass der Fahrer des Fahrzeugs nicht versichert ist - z. B. der nicht berufstätige Ehegatte. Allerdings erlangt der Fahrer nicht dadurch Versicherungsschutz, dass er versicherte Personen mitnimmt. Fährt ein Versicherter die Mitglieder der Fahrgemeinschaft an seinem arbeitsfreien Tag zur Arbeitsstätte, weil er z. B. ein Entgelt erhält oder in dieser Woche mit Fahren dran ist, dann ist er nicht versichert. Er befindet sich dann nicht auf dem Weg zur Arbeit.
Auch die Länge des erforderlichen Um- und Abweges spielt keine Rolle. Das Abweichen von dem Weg muss aber in jedem Fall dazu dienen, einen anderen Versicherten oder einen anderen Beschäftigten abzuholen, um ihn zum Ort der Tätigkeit oder wenigstens auf einer Teilstrecke dorthin mitzunehmen. Bei Tätigkeiten, die eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen, z. B. wenn ein zur Inspektion gebrachter Pkw abgeholt oder eine private Sache transportiert wird, besteht allerdings kein Versicherungsschutz. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist hier keine gemeinsame Fahrt im Sinne einer Fahrgemeinschaft anzunehmen. Daran sollten auch die Mitfahrer denken, es sei denn, es ist für sie unzumutbar, andere Beförderungsmittel zu benutzen, oder sie erfahren erst während der Fahrt von dem Umweg und sind auf die Mitfahrt angewiesen.

 

Unterbrechungen versichert?

Unterbricht eine Fahrgemeinschaft die Fahrt um mehr als zwei Stunden, besteht für den Rest des Weges kein Versicherungsschutz mehr. Allerdings ist die Wartezeit, in der der eine Teilnehmer auf den anderen wartet, um nach dessen Arbeitsende den Weg mit ihm und ohne Verzögerung fortzusetzen, keine Unterbrechung.  
Die Art des benutzten Fahrzeugs (Kfz, Taxi oder auch Fahrrad, mit dem der berufstätige Versicherte sein Kind zur Schule mitnimmt) spielt für die rechtliche Beurteilung des Versicherungsschutzes keine Rolle.

 
Eine Frage der Dauer
 
Wann eine Unterbrechung des Arbeitsweges versichert ist und wann nicht / Ein Urteil des Bundessozialgerichts
 
Ein Arbeitnehmer, der nicht unmittelbar von seiner Wohnung zur Arbeitsstelle gelangt, ist nur dann unfallversichert, wenn er den Weg von einem so genannten dritten Ort aus antritt. Die Voraussetzung ist aber: Er muss sich dort mindestens zwei Stunden aufgehalten haben. Ist die Unterbrechung des Arbeitsweges von kürzerer Dauer, besteht kein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.  
Die Klägerin sollte um 12.00 Uhr ihre Arbeit antreten. Sie verließ ihre Wohnung gegen 10.45 Uhr und fuhr mit ihrem Wagen auf dem üblichen Weg in Richtung Arbeitsstätte. Kurz vor der Arbeitsstelle bog sie aber von der üblichen Fahrtroute ab und fuhr zu einer Arztpraxis, wo sie um 11.00 Uhr einen Arzttermin wahrnehmen wollte. Die ärztliche Behandlung dauerte ca. 1 1/4 Stunden. Anschließend fuhr die Frau zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg dorthin hatte sie gegen 12.30 Uhr einen Verkehrsunfall, bei dem sie verletzt wurde. Der Unfall ereignete sich auf dem Wegstück, das noch nicht wieder zum üblichen Arbeitsweg gehörte.  
Die Berufsgenossenschaft lehnte Entschädigungsleistungen ab. Die Begründung: Die Frau habe sich bei diesem Unfall nicht auf dem direkten Weg von der Wohnung zur Arbeit befunden, sondern auf einem unversicherten Abweg. Das Bundessozialgericht in Kassel bestätigte diese Auffassung. Das Gericht erklärt: Bei dem Unfall handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall. Der Unfall ereignete sich während einer Unterbrechung des Arbeitsweges, die eigenwirtschaftlichen Zwecken diente und damit nicht versichert sei. Dies sei so zu sehen, da sich die Frau in der Arztpraxis weniger als zwei Stunden aufgehalten habe, nämlich nur 1 1/4 Stunden. Daher habe die Arztpraxis nicht die Bedeutung eines "dritten Ortes". Und somit bestand auch kein Unfallversicherungsschutz.
 
BSG, Urteil vom 05. 05. 1998 - B 2 U 40/97 R
 

 

Autor: Eiermann